Nicht irgendein Stück Brot wird da verehrt, sondern Jesus selber, der in der Gestalt des Brotes unter uns gegenwärtig ist.
Nicht irgendein Stück Brot wird da verehrt, sondern Jesus selber, der in der Gestalt des Brotes unter uns gegenwärtig ist.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Fronleichnamsfest, 15. Juni 2017 (Joh 6,51-58)
Heute werden in ganz Österreich Fronleichnamsprozessionen abgehalten. Manche sind berühmt, wie die Seeprozession in Hallstatt im Salzkammergut. Andere ziehen bescheiden durch die Straßen der Großstadt. Meine Kindheitserinnerungen an Fronleichnam bei uns im Dorf sind mir unvergesslich. Es war meist schönes Wetter, es war heiß und hat lange gedauert, und es war doch etwas ganz Besonderes, festlich und feierlich. Die Mitte der Prozession war der sogenannte „Himmel“, eine Art Baldachin, von vier Männern getragen. Unter ihm ging der Pfarrer, in besonderem Ornat, mit der Monstranz in den Händen.
Die Monstranz ist ein meist kostbar mit Gold und Edelsteinen gestaltetes, tragbares Gerät, das in der Mitte ein kleines, rundes Fenster hat. Hinter dem Glas dieses Fensters sieht man eine kleine weiße, runde Scheibe, eine Hostie, ein Stück Brot. Um dieses Stück Brot geht es. Es ist der Mittelpunkt der ganzen Prozession. Denn diese weiße Hostie ist das eucharistische Brot, der heilige Leib Christi. Fronleichnam ist ein altdeutsches Wort und heißt „Leib des Herrn“. In der Fronleichnamsprozession wird der Leib Christi verehrt und angebetet. Er wird durch die Straßen, über Wege und Wasser getragen. Alles rundherum dreht sich um dieses Geheimnis, von dem Jesus heute im Evangelium sagt: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist … Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt.“ Fronleichnam ist das Fest der Freude darüber, dass Gott im heiligen Brot den Menschen so nahe ist. Die Prozessionen mit der Monstranz und der Hostie waren daher immer auch ein Bekenntnis des Glaubens. Nicht irgendein Stück Brot wird da verehrt, sondern Jesus selber, der in der Gestalt des Brotes unter uns gegenwärtig ist. Bei der Fronleichnamsprozession mitzugehen erforderte zu manchen Zeiten viel Mut, etwa in den Jahren des Nationalsozialismus.
Aber auch unter den Christen war Fronleichnam nicht unumstritten. Jesus sagt doch: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Er hat nicht gesagt: Wer mich herumträgt! Die Eucharistie, das heilige Brot, sei zum Essen und nicht zum Anschauen! So sagt Martin Luther ganz energisch: „Ich bin keinem Fest mehr feind als diesem … Denn da tut man alle Schmach dem heiligen Sakrament, dass man’s nur zum Schauspiel umträgt… Denn Christus es nicht befohlen hat also herumtragen. Darum hütet euch vor solchem Gottesdienst!“
Lange Zeit war Fronleichnam eine Art katholische Demonstration, gegen die Protestanten und gegen alle, die der Kirche feindlich gesonnen waren. Es war freilich immer eine friedliche Demonstration.
Und was bedeutet dieses Fest heute? Seit nunmehr 22 Jahren darf ich den großen „Stadtumgang“ in der Wiener Innenstadt begehen. Und jedes Jahr freue ich mich neu auf diesen Tag. Ich sehe in der Fronleichnamsprozession vor allem ein Angebot und einen Segen. Jesus im heiligen Brot kommt nicht mit Gewalt und Macht. Wehrlos wie ein Stückchen Brot bietet er allen Menschen seine Liebe, seine Hilfe und seinen Trost an. Mich berührt es immer ganz tief, Jesus als den zu erleben, der alle Menschen segnet, keinen ausschließt. Während ich auf die kleine weiße Hostie in der Monstranz blicke, danke ich Jesus, dass er so still und schlicht da ist, für alle, die mitgehen, und für alle, die am Wegrand stehen. Ich glaube, mit dieser Sicht könnte auch Luther heute, 500 Jahre später, einverstanden sein.
In jener Zeit sprach Jesus zu der Menge: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt. Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, das sage ich euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wirklich Speise, und mein Blut ist wirklich Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben. Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Mit ihm ist es nicht wie mit dem Brot, das die Väter gegessen haben; sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.
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