Es stimmt, dass die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern die wichtigsten im Leben sind. Aber genau in diesem so grundlegenden Verhältnis geschehen meistens auch die ersten Verletzungen mit deren oft ein Leben lang spürbaren Folgen.
Es stimmt, dass die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern die wichtigsten im Leben sind. Aber genau in diesem so grundlegenden Verhältnis geschehen meistens auch die ersten Verletzungen mit deren oft ein Leben lang spürbaren Folgen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 2. Juli 2017 (Mt 10,37-42)
Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebst und es dir gut geht auf Erden. So haben wir’s im Religionsunterricht gelernt zu einer Zeit, als man die Zehn Gebote noch auswendig lernen und aufsagen musste. Und wir haben dazugelernt, dass das Vierte Gebot nicht nur Beziehungen der Kinder zu den Eltern, sondern auch der Eltern zu den Kindern betrifft. Es geht also um die wichtigsten Familienbeziehungen: Dass die Kinder ihre Eltern schätzen, achten und lieben sollen, und umgekehrt.
Heute aber scheint Jesus diese wichtigsten Beziehungen irgendwie in Frage zu stellen. Sie sollen nicht an erster Stelle stehen: „Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.“ Elternliebe und Kinderliebe wird an den zweiten Platz gerückt. Es gibt eine Rangordnung. An erster Stelle soll die Liebe zu Gott, die Liebe zu Jesus stehen. Dann erst kommt alles andere.
Das klingt irgendwie hart und abweisend. In Wirklichkeit geht es aber um etwas Lebenswichtiges. Um es kurz zu sagen: Die Eltern sind nicht der liebe Gott! Und die Kinder sind nicht das Ein und Alles! Bedenken wir ein wenig, was das für das Leben der Familie bedeutet.
Es stimmt, dass die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern die wichtigsten im Leben sind. Wir haben alle Vater und Mutter. Ihnen verdanken wir das Leben. Daher ist es richtig, ihnen dankbar zu sein und sie zu achten und zu ehren. Wir sind alle Kinder von Eltern, und deshalb ist es richtig, dass Eltern die Verpflichtung haben, auf ihre Kinder zu schauen, sie zu beschützen, zu erziehen und zu mögen. Vom guten Gelingen dieser ersten aller Beziehungen hängt so unglaublich viel im Leben ab. Glücklich, wer in einem guten und gesunden Eltern-Kinder-Verhältnis wachsen und leben darf.
Aber genau in diesem so grundlegenden Verhältnis geschehen meistens auch die ersten Verletzungen mit deren oft ein Leben lang spürbaren Folgen. Die Eltern sind Menschen mit Fehlern und Schwächen: Das bekommen die Kinder zu spüren. Und die Kinder sind von Anfang an keine Engel. Auch sie haben ihren Charakter und entwickeln nicht nur ihre guten Seiten. Nirgendwo gibt es so tiefe Wunden wie in der Familie, und nirgendwo sehnt man sich so sehr nach Frieden wie in der Familie. Die Familie ist, wie Papst Franziskus sagt, „schon immer das nächstgelegene Krankenhaus“. In der Not suchen wir Schutz in der Familie. Papst Franziskus spricht aber auch von der „dunklen Dimension“ der Familie, von der „bitteren Wirklichkeit, … der Gegenwart des Schmerzes, des Bösen und der Gewalt, die das Leben der Familie … auseinanderbrechen lassen“. Ja manchmal wird das zu einem „blutbefleckten Weg des Leidens“.
Deshalb sind die Worte Jesu eine so entscheidende Wegweisung: In der Familie soll Gott an erster Stelle stehen. Sonst werden die Eltern zu Tyrannen und die Kinder zu Götzen. Die Eltern sollen geehrt werden, obwohl sie Fehler haben. Aber sie sind auch nur Menschen. Und die Kinder sollen geliebt werden. Aber sie sind nicht das Eigentum der Eltern. Wenn wir Gott an die erste Stelle setzen, dann können wir uns gegenseitig viel besser annehmen, so wie wir sind. Weil wir dann wissen, dass Gott uns annimmt, so wie wir sind. Und uns sogar liebt, so wie wir sind.
Dann werden wir es auch schaffen, uns selber nicht zum Mittelpunkt der Welt zu machen. Denn die meisten Wunden in der Familie entstehen dadurch, dass wir uns selber für wichtiger halten als alle anderen.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mit nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten aufnimmt, weil er ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil er ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist - amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen
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