Wenn Unkraut und Weizen ganz dicht nebeneinander wachsen? Wie wird man das Unkraut los? Alles ausreißen? Wie will man vermeiden, dass mit dem Unkraut auch viel guter Weizen ausgerissen wird? Ist die „einfache Lösung“ wirklich die gute Lösung?
Wenn Unkraut und Weizen ganz dicht nebeneinander wachsen? Wie wird man das Unkraut los? Alles ausreißen? Wie will man vermeiden, dass mit dem Unkraut auch viel guter Weizen ausgerissen wird? Ist die „einfache Lösung“ wirklich die gute Lösung?
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 23. Juli 2017 (Matthäus 13, 24-30).
Von einer großen Versuchung spricht Jesus heute im Gleichnis vom Weizen und Unkraut. Es ist die Versuchung der „sauberen Lösung“. Ein Bauer hat auf seinem Acker guten Samen gesät. Sein Feind hat in der Nacht heimlich Unkraut zwischen den Weizen gesät. Als nun die Saat aufging, zeigte es sich, dass zwischen dem guten Korn auch jede Menge Unkraut wuchs. Was tun? Die naheliegendste, sauberste Lösung schlagen die Mitarbeiter vor: Wir werden einfach das Unkraut ausreißen.
Aber wie soll das gehen, wenn Unkraut und Weizen ganz dicht nebeneinander wachsen? Wie will man vermeiden, dass mit dem Unkraut auch viel guter Weizen ausgerissen wird? Ist die „einfache Lösung“ wirklich die gute Lösung?
Jesus schlägt eine andere Lösung vor, die aufs Erste schockierend wirkt: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte!“ Wie kann das gemeint sein? Soll all das üble Unkraut dieser Welt ungehindert wachsen dürfen? Soll das Böse nicht mehr bekämpft werden? Soll auf allen Widerstand gegen das Übel verzichtet werden? Braucht es keine Polizei mehr? Kein Strafmandat im Verkehr? Keine Prozesse gegen Übeltäter? Sollen Eltern ihren Kindern alles durchgehen lassen? Ihnen keine Grenzen setzen? Auf die Mühe der Erziehung verzichten? Wohin eine solche fahrlässige Haltung hinführt, erleben wir ja überall in unserer Welt.
Ich glaube nicht, dass Jesus mit diesem Gleichnis auffordert, untätig dem Bösen zuzuschauen. Ich glaube, er warnt hier vor einfachen, vorschnellen Lösungen. Er sieht in ihnen eine Versuchung, ja eine echte Gefahr. Es gibt diese Versuchung im Kleinen wie im Großen. Der „Islamische Staat“ (IS) ist ein schreckliches Beispiel eines Versuchs, radikal alles auszureißen, was man für die Ursache aller Übel hält.
Man möchte einen idealen Gottesstaat errichten, in dem alles ganz nach Gottes Willen gehen soll. Und dafür nimmt man allen Horror in Kauf, vernichtet, tötet, mordet und zerstört hemmungslos alles, was dem Plan im Weg steht. Es ist noch nicht so lange her, da hat bei uns der Nationalsozialismus mit seiner mörderischen „Endlösung“ gewütet. Ganze Menschengruppen wurden zu „Unkraut“ erklärt, zu „unwertem Leben“, dass es auszurotten galt: vor allem die Juden, aber auch die Roma, die Behinderten, die Homosexuellen. Das Ende war ein endloses Töten und Morden und großes Elend für weite Teile der Welt.
Die Versuchung der „sauberen Lösung“ gibt es aber auch im Kleinen. Man erhofft sich eine Lösung der Probleme durch einen klaren Schnitt, etwa durch die Beendigung einer Partnerschaft, das Auseinandergehen einer Ehe. Oft entstehen aber durch solche Lösungen neue Probleme. Es wird nicht nur Unkraut ausgerissen, sondern guter Weizen zerstört.
Schlägt Jesus eine Lösung vor? Ich glaube, er ermutigt einfach zur Geduld. „Lasst beides wachsen bis zur Ernte!“ Natürlich erklärt Jesus nicht das Unkraut für etwas Gutes. Aber wer alle Übel gleich und ganz ausrotten will, schafft, wie die Erfahrung zeigt, oft neues Leid und richtet manchmal mehr Schaden an als Nutzen. Vielleicht lädt Jesus uns dazu ein, auf uns selber zu schauen: In mir gibt es nicht nur Gutes.
Auch manches Unkraut wuchert im Garten meines Lebens. Ich selber schaffe es nicht, alle schlechten Seiten in mir zu überwinden. Gott hat Geduld mit mir. Und ich brauche Geduld mit mir selber. Sollte ich da nicht mehr Geduld mit anderen haben, statt von einer „sauberen Lösung“ zu träumen?
In jener Zeit erzählte Jesus der Menge das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zum Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Weizen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich zu den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündeln, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.
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