Kein Mensch ist fehlerlos. Kein menschliches Zusammenleben ohne gegenseitige Verfehlungen, ja Verletzungen. Deshalb ist die Frage der Vergebung unausweichlich. Aber wie oft müssen wir anderen verzeihen?
Kein Mensch ist fehlerlos. Kein menschliches Zusammenleben ohne gegenseitige Verfehlungen, ja Verletzungen. Deshalb ist die Frage der Vergebung unausweichlich. Aber wie oft müssen wir anderen verzeihen?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium, am Sonntag, 17. September 2017 (Mt 18,21-35)
Wie oft muss ich verzeihen? Diese Frage stellt Petrus an Jesus. Und sie stellt sich in jedem menschlichen Leben. Denn niemand entkommt den Fehlern. Kein Mensch ist fehlerlos. Kein menschliches Zusammenleben ohne gegenseitige Verfehlungen, ja Verletzungen. Deshalb ist die Frage der Vergebung unausweichlich. Wir kommen nicht darum herum, zumindest gelegentlich um Verzeihung zu bitten, uns zu entschuldigen, und auch anderen zu verzeihen, ihnen zu vergeben.
Aber wie oft müssen wir anderen verzeihen? Alles hat seine Grenzen! Einmal reicht es! Einmal ist die Geduld mit den anderen zu Ende! Wer immer dem anderen alles nachsieht, alles durchgehen lässt, nie ein „bis hierher und nicht weiter“ sagt, der macht sich vielleicht selber schuldig. Gibt es nicht auch eine Pflicht, sich zu wehren? Wo bleibt der Sinn für die Gerechtigkeit, wenn nichts bestraft, alles vergeben wird? Führt das nicht zum Chaos, wenn immer nur verziehen wird?
Andererseits zeigt es sich oft nur zu schmerzlich, wie schlimm es ist, wenn nicht verziehen wird. Da werden endlose Prozesse geführt, da vergiftet sich das Klima einer Familie, weil keiner bereit ist, den Schritt der Vergebung zu wagen. Wie viele Kriege im Kleinen wie im Großen finden kein Ende, weil keine Seite bereit ist, mit der Versöhnung zu beginnen.
Wie oft muss ich verzeihen? Petrus schlägt ein sinnvolles Maß vor: sieben Mal! Das ist doch wirklich nicht wenig! Das müsste doch genügen! Für Jesus ist es nicht genug. Siebenundsiebzig Mal, also einfach immer, grenzenlos, unzählige Male sollen wir verzeihen. Ist das lebbar? Ist es nicht eine Überforderung? Wie soll das ein normaler Mensch schaffen? Jesus weiß, dass kein Mensch das von sich aus, nur aus eigener Kraft, zusammenbringt. Einmal geht uns die Luft aus. Einmal kommen wir an den Punkt, wo wir sagen: Jetzt geht es nicht mehr!
An diesem Punkt setzt Jesus an und erzählt ein Gleichnis. Ein König verlangt Rechenschaft von seinen Beamten. Er lässt die Bücher prüfen. Bei einem stellt er einen gigantischen Fehlbetrag fest, der in viele Millionen geht. Der Beamte bittet um Geduld, behauptet das Unmögliche: Er werde alles zurückzahlen. Der König erlässt ihm nicht nur einen Teil der Schuld, sondern alles. Kaum hat der eben von seiner Schuld Befreite den König verlassen, trifft er einen Kollegen, der ihm die Summe von etwa drei Monatsgehältern schuldet. Hart und unerbittlich fordert er sein Geld zurück und lässt den Kollegen ins Gefängnis werfen.
Zu Recht finden wir dieses Verhalten empörend. Dem Mann wurde eine unvorstellbare große Schuld erlassen. Er ist aber nicht bereit, einem Kollegen eine vergleichsweise winzige Schuld zu vergeben.
Jesus hat die Frage verändert. Es geht nicht mehr darum, wie oft ich verzeihen muss, und ob es einmal genug ist mit dem Verzeihen. Mit dem Gleichnis vom Schuldner des Königs sagt Jesus: Du lebst eigentlich davon, dass dir schon viel mehr verziehen worden ist, als was du je einem anderen verzeihen könntest. Anders gesagt: Was du deinem Nächsten zu verzeihen hast, ist winzig im Vergleich zu dem, was Gott dir verziehen hat. Gott ist mit uns so barmherzig, dass wir untereinander nicht so unbarmherzig sein dürfen. Gott hat dir nicht einmal, nicht sieben Mal, sondern immer schon verziehen, wenn du selber zu verzeihen bereit bist.
In jener Zeit trat Petrus zu Jesus und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal. Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Dienern Rechenschaft zu verlangen. Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war. Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen. Da fiel der Diener vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen. Der Herr hatte Mitleid mit dem Diener, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld. Als nun der Diener hinausging, traf er einen anderen Diener seines Herrn, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und rief: Bezahl, was du mir schuldig bist! Da fiel der andere vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe. Als die übrigen Diener das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war. Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Diener! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast. Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte? Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt.
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