Was ich brauche, um glücklich zu sein? Schon zur Zeit Jesu stellten sich die Menschen die Frage, was wirklich wichtig ist.
Was ich brauche, um glücklich zu sein? Schon zur Zeit Jesu stellten sich die Menschen die Frage, was wirklich wichtig ist.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 29. Oktober 2017 (Mt 22,34-40)
Würden wir heute auch so fragen, wie der Mann im Evangelium damals Jesus gefragt hat? „Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“ Er will von Jesus wissen, was im Leben die wichtigste Plicht ist, was von all den vielen Dingen, die man tun soll oder tun muss, den Vorrang hat. Er fragte nach einer Rangordnung der Gebote, die in der Bibel stehen, und da stehen sehr viele, über sechshundert hat man gezählt. Nicht alle können gleich wichtig sein, und daher können sie nicht alle gleich verpflichtend sein.
Heute fragen wir eher danach, was mir persönlich im Leben wichtig ist, was ich brauche, um glücklich zu sein, was ich mir mehr als alles andere wünsche. Ich habe den Eindruck, dass wir heute weniger nach unseren Pflichten als nach unseren Wünschen fragen. Aber auch heute bleibt es uns nicht erspart, unseren Pflichten nachzukommen, und diese können manchmal zur bedrückenden Last werden. Sie können uns zu viel werden, ja uns geradezu erdrücken. Dann spricht man von „Pflichtenkollision“, von den Schwierigkeiten, alle unsere Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen: Aufgaben in der Ehe, in der Familie, im Beruf, im Freundeskreis, in der Gesellschaft, finanzielle Verpflichtungen, aber nicht zuletzt auch Pflichten uns selbst gegenüber: Auf unsere Gesundheit zu achten, auf die seelische Ausgeglichenheit, auf unsere Beziehung zu Gott und zu den anderen.
Nicht nur zur Zeit Jesu stellten sich die Menschen die Frage, was wirklich wichtig ist. Sie stellt sich im Grunde in jedem Leben. Wir haben alle die Aufgabe, unsere Pflichten und Wünsche zu gewichten. Wir müssen immer neu das rechte Maß suchen: Was soll ich mir wirklich in meinem Leben wünschen? Welche der vielen Verpflichtungen, die ich in meinem Alltag habe, haben wirklich Vorrang? Heute gibt es jede Menge an Büchern und Zeitschriften zur Lebensberatung, Fachleute, die – meist nicht ganz billig - ihre Hilfe anbieten, um im eigenen Leben Ordnung in die Wünsche und Pflichten zu bringen.
Jesus gibt einen ganz einfachen Rat. Er führt alles auf nur zwei Gebote zurück, zwei Lebensregeln, die alles andere ordnen können. Die erste nennt Jesus die wichtigste, sagt aber gleich dazu, dass die zweite Lebensregel „ebenso wichtig ist“. Beide gehören also unbedingt zusammen, sind nur „im Doppelpack“ zu haben. Denn in beiden geht es nur um das eine: die Liebe! Sie ist bei weitem das Wichtigste im Leben. Ohne sie ist alles andere wertlos, auch wenn es uns noch so wichtig scheint.
Viele sagen, Gesundheit sei das Wichtigste. Sie ist ein kostbares Gut, zweifellos. Aber was hilft eine gute Gesundheit, wenn ansonsten das Leben von Hass und Streit vergiftet ist? Geld ist wichtig, aber dort, wo es das Wichtigste wird, wo nur mehr das Geld regiert und die Liebe verlorengeht, da bringt das Geld nur Unglück. Manche stellen das eigene Ich an die oberste Stelle. Das mag eine Zeitlang Erfolg haben. Am Schluss bleibt man schrecklich alleine, wenn die Liebe zu den anderen dem Egoismus geopfert wurde.
Eigentlich fügt Jesus noch ein drittes Gebot an: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Wie geht das: auch sich selber lieben? Ist das nicht Egoismus? Sich selber lieben, das geht nur, wenn wir selber genug Liebe erfahren haben, wenn wir erleben, dass wir anderen wichtig und wertvoll sind. Deshalb steht an allererster Stelle, dass Gott uns ganz und gar liebt, annimmt und bejaht. Das zu wissen, macht uns fähig, selber zu lieben. Und das ist das Wichtigste!
In jener Zeit, als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie bei ihm zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.
Mehr über Kardinal Christoph Schönborn