Müssen wir es fürchten, oder dürfen wir es mit Zuversicht erwarten, das große Weltgericht?
(Foto: Das Jüngste Gericht von Michelangelo in der Sixitinischen Kapelle im Vatikan.)
Müssen wir es fürchten, oder dürfen wir es mit Zuversicht erwarten, das große Weltgericht?
(Foto: Das Jüngste Gericht von Michelangelo in der Sixitinischen Kapelle im Vatikan.)
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 26. November 2017 (Mt 25,31-46)
Fremd geworden ist uns der Gedanke des Weltgerichts. Vom großen Gericht am Ende der Zeit aber spricht die Bibel oft. Und über die Jahrhunderte wurde in zahllosen Darstellungen immer wieder das Gericht Gottes in Erinnerung gerufen. Am bekanntesten ist wohl das riesige Fresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Mit dem Blick auf Christus als Weltenrichter wählen dort die Kardinäle den Papst. Zweimal durfte ich selber daran teilnehmen, bei der Wahl von Papst Benedikt im Jahr 2005, und der von Papst Franziskus 2013. Beide Male hat es mich stark bewegt, im Angesicht dieses gewaltigen Gerichtsbildes meine Stimme zur Wahl des Papstes abzugeben.
Müssen wir es fürchten, oder dürfen wir es mit Zuversicht erwarten, das große Weltgericht? Oder ist das, was da an Vorstellungen von Gott als Richter vermittelt wird, im Grunde nur eine Angstmacherei der Kirche? Es lohnt sich zu fragen, wie wir uns selber, ganz persönlich, diesen Moment vorstellen. Denken wir daran? Werde ich einmal Rechenschaft über mein Leben geben müssen? Wie werde ich dastehen, wenn ich vor Gott erscheinen muss, und er mein ganzes Leben prüft? Ich vermute, dass die meisten von uns nicht täglich an diese Fragen denken. Gelegentlich aber tauchen sie auf. Lösen sie dann Angst aus? Oder eher Vertrauen?
Jesus gibt der Frage nach dem Endgericht eine überraschende Wendung. Der springende Punkt, die entscheidende Frage beim Gericht, ist nicht: Was hast du getan? Was waren deine bösen Taten? Was hast du angestellt? Nicht die Taten können uns zum Verhängnis werden, sondern die Unterlassungen! Und diese haben ein solches Gewicht, dass sie uns ins ewige Unglück stürzen können. So sagt Jesus mit erschreckender Deutlichkeit: "Ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben."
Kann ein Versäumnis so schreckliche Folgen haben? Wir übersehen doch manchmal Nöte anderer Menschen ohne böse Absicht. Wir können auch nicht alles Leid der Welt wahrnehmen, allen Menschen helfen. Aber darum geht es auch nicht. Jesus hat nicht verlangt, dass wir die ganze Welt befreien, alle Hungernden sättigen und alle Fremden aufnehmen. Gottes Gericht ist ganz konkret und praktisch. Wo hätte ich tatsächlich helfen können und habe es verabsäumt?
Doch das Entscheidende ist noch nicht gesagt: Was ihr einem dieser Armen, Nackten, Heimatlosen getan habt, das habt ihr mir getan! Im Hungrigen wartet Gott selber auf meine Hilfe. Der Obdachlose, dem ich Quartier gebe, erweist sich als Jesus selbst. In dem Kranken, der auf meinen Besuch hofft, wartet Jesus selber auf mich. Denn Jesus steht hinter den Armen, Kranken und Hungernden. Ihm begegnen wir, wenn wir vor der Not des Nächsten nicht weglaufen. Ihn versäumt, wer sein Herz vor dem Armen verschließt.
Brauchen wir das Jüngste Gericht zu fürchten? Sicher nicht, wenn uns die Not der Anderen nicht gleichgültig ist. Das Jüngste Gericht findet jetzt statt.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden von ihm zusammengerufen werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Erde für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er sich an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder obdachlos oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen? Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.
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