Warum ist Jesus so oft angeeckt? Warum hat er so viel Feindschaft erlebt, so bitterböse Ablehnung? Was hat er falsch gemacht? War er undiplomatisch?
(Foto: Christusstatue im Garten des Concordia Schlössls in Wien)
Warum ist Jesus so oft angeeckt? Warum hat er so viel Feindschaft erlebt, so bitterböse Ablehnung? Was hat er falsch gemacht? War er undiplomatisch?
(Foto: Christusstatue im Garten des Concordia Schlössls in Wien)
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 3. Juni 2018 (Mk 2,23 – 3,6)
Heute zeigt das Evangelium einen ganz und gar menschlichen Jesus. Einen Menschen, der mit Not vertraut ist, der Gefühle hat und sich traut, sie zu zeigen. Wir sehen einen Jesus, der weiß, was Hunger bedeutet, der gelegentlich „voll Zorn und Trauer“ sein kann. Jesus hat nicht nur starke Gefühle, er hat vor allem Mitgefühl. Und er scheut sich nicht, aus Mitgefühl andere zu verteidigen, zu schützen, ihnen zu helfen, auch wenn er damit Anstoß erregt, ja sich massive Feindschaft zuzieht. Das heutige Evangelium endet dramatisch. Die Kritiker Jesu gehen aufs Ganze. Es genügt ihnen nicht, sich über sein Verhalten aufzuregen, sie beschließen kurzerhand, „Jesus umzubringen“, obwohl sie gerade erlebt haben, dass Jesus einen Behinderten vor allen Augen geheilt hat.
Warum ist Jesus so oft angeeckt? Warum hat er so viel Feindschaft erlebt, so bitterböse Ablehnung? Was hat er falsch gemacht? War er undiplomatisch? Zu direkt? Warum hat er provoziert? Oder warum hat er Sachen gemacht, von denen er annehmen musste, dass sie bei gewissen Leuten Anstoß erregen? Hat er das extra so gemacht?
Das heutige Evangelium hilft uns besser zu verstehen, warum es zu einem so dramatischen Konflikt kommen konnte, der schließlich zum Tod Jesu geführt hat. Alles dreht sich um den Sabbat. Er ist bis heute im Judentum der heilige Tage der Woche, der Tag der Ruhe, an dem jede knechtliche Arbeit streng verboten ist. Um die Sabbatruhe hatten die jüdischen Gesetze gewissermaßen einen dichten Zaun gebaut, der sicherstellen sollte, dass wirklich niemand am Sabbat arbeiten muss. Was ursprünglich als Schutz gedacht war, wurde durch allzuviele Gebote und Verbote allmählich zu einem engen Korsett. Der Sabbat sollte ein Tag der Freiheit vom harten Joch der Arbeit sein. Stattdessen drohte er zu einem neuen Joch zu werden.
Jesus hat immer wieder klargestellt: „Der Sabbat ist für den Menschen da. Nicht der Mensch für den Sabbat.“ Das gilt bis heute: Die Gesetze sollen den Menschen dienen, nicht umgekehrt! Jesus konnte zornig werden, wenn das Gesetz zum Götzen gemacht wurde. Zwei Beispiele gibt das heutige Evangelium. Jesus ist unterwegs. Seine Jünger (und er selber wohl auch) haben Hunger. Sie begehen „Mundraub“, indem sie Ähren abreißen und das Korn essen, um ihren Hunger zu stillen. Die Bibel erlaubt, dass Arme und Hungernde sich so die nötige Nahrung verschaffen. Doch die strengen Gesetzeshüter drohen Jesus mit Strafen, weil das am Sabbat verboten ist.
Noch krasser ist der zweite Konflikt. Beim Sabbatgottesdienst in der Synagoge sieht Jesus einen körperlich Behinderten. Darf ich ihn heilen? Auf Jesu Frage schweigen die Gesetzeshüter. Jesus sieht ihnen der Reihe nach in die Augen, „voll Zorn und Trauer über ihr verhärtetes Herz“. Ist denn das Gesetz, das ihr selber gemacht habt, wichtiger als das Wohl des Menschen? Die Leidenschaft Jesu gilt dem Wohl von uns Menschen. Darin ist Jesus ganz menschlich. Und so zeigt er uns, dass Gott selber menschlich zu uns ist und will, dass auch wir menschlicher werden.
An einem Sabbat ging Jesus durch die Kornfelder, und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. Da sagten die Pharisäer zu ihm: Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat verboten. Er antwortete: Habt ihr nie gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren und nichts zu essen hatten - wie er zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar in das Haus Gottes ging und die heiligen Brote aß, die außer den Priestern niemand essen darf, und auch seinen Begleitern davon gab? Und Jesus fügte hinzu: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat. Als er ein andermal in eine Synagoge ging, saß dort ein Mann, dessen Hand verdorrt war. Und sie gaben acht, ob Jesus ihn am Sabbat heilen werde; sie suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn. Da sagte er zu dem Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte! Und zu den anderen sagte er: Was ist am Sabbat erlaubt: Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? Sie aber schwiegen. Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz, und sagte zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus, und seine Hand war wieder gesund. Da gingen die Pharisäer hinaus uns fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen.
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