Täglich können wir kleine Siege über den Tod erringen, wenn wir dem Leben Raum geben, wenn wir einander aufrichten, uns gegenseitig helfen, aufzustehen.
Täglich können wir kleine Siege über den Tod erringen, wenn wir dem Leben Raum geben, wenn wir einander aufrichten, uns gegenseitig helfen, aufzustehen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 1. Juli 2018 (Mk 5,21-24.35b-43)
Es beginnt mit einer großen Bitte. Ein Vater bittet um das Leben seines sterbenskranken Kindes. Jairus, der Vorsteher der örtlichen Synagoge, fleht Jesus an: „Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie wieder gesund wird und am Leben bleibt.“ Wie viele solcher Bitten hat Jesus in den wenigen Jahren seines öffentlichen Wirkens gehört! Viele hat er erfüllt, hat Kranke geheilt. Und da sich diese gute Nachricht wie ein Lauffeuer im ganzen Land verbreitete, kamen die Menschen von überallher mit ihren Kranken, alle voll Hoffnung auf Heilung.
Immer noch wird Jesus gebeten, Kranke zu heilen. Auch dort, wo die Medizin unglaubliche Fortschritte gemacht hat, flehen Menschen um Heilung, für sich und für andere. Es ist kein Entweder-Oder, Medizin oder Gebet um Heilung. Das weiß schon die Bibel.
Heilung ist immer Werk Gottes und Werk der Menschen. Wenn eine Diagnose stimmt, wenn das passende Medikament verschrieben und auch genommen wird, wenn eine Operation gelingt, so ist das alles ein Zeichen guten ärztlichen Könnens. Aber ist es nicht zugleich Gottes Werk, der dem Arzt die richtige Erkenntnis, dem Chirurgen die ruhige Hand, dem Patienten die selbstheilenden Kräfte des eigenen Körpers verleiht? Wie oft werde ich gebeten, vor einer Operation zu beten und zu segnen! Und wenn Heilung gelingt, ist es doch richtig, dem Arzt zu danken, aber nicht weniger Gott, von dem wir alles haben, die Heilkräfte der Natur, das Wissen des Arztes und das Gelingen seiner Therapie. Auf jeden Fall sollten wir keine Heilung als etwas Selbstverständliches betrachten.
Was aber, wenn die Heilung nicht gelingt? Das Kind ist gestorben. Was gibt es da noch zu bitten und zu beten? Jesus sagt den laut Weinenden und Wehklagenden: „Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur.“ Da lachten sie ihn aus. Natürlich weiß auch Jesus, dass das Mädchen gestorben ist. Aber der Tod ist wie ein Schlaf, ist „Schlafes Bruder“, wie der Erfolgsroman von Robert Schneider heißt. Im Schlaf sind wir körperlich wie tot, aber die Seele lebt, was sich besonders in den Träumen zeigt. Und das Aufwachen aus dem Schlaf der Nacht ist wie ein Stück Auferstehung, eine Ahnung von dem, was einmal die endgültige Auferstehung sein wird.
Leiblich ist das Kind gestorben. Aber seine Seele lebt. So kann Jesus sie ansprechen. Die originalen Worte seiner aramäischen Muttersprache sind erhalten: „Talita kum! Mädchen, ich sage dir, steh auf!“ Jesus ist nicht nur der Heiler, der viele Kranke gesund gemacht hat. Er ist der Herr über Leben und Tod. Er will nicht den Tod des Menschen, er will, dass wir leben, auch wenn wir alle durch das enge Tor des Todes müssen. Er selber hat den Tod bis zum Äußersten durchlitten. Aber er ist nicht im Tod geblieben: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Täglich können wir kleine Siege über den Tod erringen, wenn wir dem Leben Raum geben, wenn wir einander aufrichten, uns gegenseitig helfen, aufzustehen. So tut es Jesus ganz schlicht, als er sagt, man soll dem Mädchen etwas zu essen geben.
In jener Zeit fuhr Jesus im Boot wieder ans andere Ufer hinüber, und eine große Menschenmenge versammelte sich um ihn. Während er noch am See war, kam ein Synagogenvorsteher namens Jaïrus zu ihm. Als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie wieder gesund wird und am Leben bleibt. Da ging Jesus mit ihm. Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn. Unterwegs kamen Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehörten, und sagten zu Jairus: Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger? Jesus, der diese Worte gehört hatte, sagte zu dem Synagogenvorsteher: Sei ohne Furcht; glaube nur! Und er ließ keinen mitkommen außer Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus. Sie gingen zum Haus des Synagogenvorstehers. Als Jesus den Lärm bemerkte und hörte, wie die Leute laut weinten und jammerten, trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur. Da lachten sie ihn aus. Er aber schickte alle hinaus und nahm außer seinen Begleitern nur die Eltern mit in den Raum, in dem das Kind lag. Er fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt. Die Leute gerieten außer sich vor Entsetzen. Doch er schärfte ihnen ein, niemand dürfe etwas davon erfahren; dann sagte er, man solle dem Mädchen etwas zu essen geben.
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