Glaube kann nur in Freiheit gelebt werden.
(Foto: Jugendliche beim 24-7 Prayer im Stephansdoms)
Glaube kann nur in Freiheit gelebt werden.
(Foto: Jugendliche beim 24-7 Prayer im Stephansdoms)
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 26. August 2018 (Joh 6, 60-69)
Die Leute laufen in Scharen weg. Das passiert nicht nur politischen Parteien, Gewerkschaften, Vereinen, die über Mitgliederschwund klagen. Das erleben nicht nur die Kirchen, aus denen die Mitglieder in Massen austreten. Das hat Jesus selber erfahren müssen. Mit dem heutigen Evangelium sind wir an einem Wendepunkt im Leben Jesu angelangt. Damals "zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit Jesus umher".
Nach einer Zeit des Erfolgs kommt für Jesus eine Zeit des Misserfolgs. Am Anfang liefen ihm die Menschen in Scharen zu. Jetzt wenden sich viele wieder von ihm ab. Früher hörten ihm die Menschen stunden- und tagelang zu. Jetzt sagen sogar viele seiner Anhänger, die ihm bisher treu gefolgt waren: "Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören?" Wieso ist die Stimmung so gekippt? Was hat Jesus falsch gemacht, dass sein Erfolg nicht nachhaltig war? Oder sind die Menschen so wankelmütig, dass sie schnell begeistert sind, und ebenso schnell enttäuscht sich wieder abwenden?
Das heutige Evangelium macht mich sehr nachdenklich. Wie sieht das heute aus? Wie ist es bei mir selber? Wie hätte ich mich damals verhalten? Wäre ich mit der Mehrheit weggelaufen? Oder wäre ich bei Jesus geblieben? Die Haltung Jesu gibt mir zu denken. Er macht keine Anstalten, die Leute festzuhalten. Die vielen Jünger, die ihn verlassen, lässt er ganz frei. Er übt keinen Druck aus, aber er nimmt auch nichts von seiner Überzeugung zurück. Er ist kein Populist, der um die Gunst seiner Anhänger buhlt. Sogar seinem engsten Kreis, den zwölf Aposteln, lässt er die Freiheit: "Wollt auch ihr weggehen?"
Das heutige Evangelium ist ein großes Lehrstück über die Freiheit. Der Glaube
kann nur frei gelebt werden. Zum Glauben kann niemand gezwungen werden, wie auch niemand zur Liebe genötigt werden kann. Eine Zwangsmitgliedschaft darf es unter den Jüngern Jesu nicht geben. Es tut weh, dass so viele Menschen die Kirche verlassen und ihren Austritt vor den staatlichen Stellen erklären. Aber viel schlimmer wäre es, wenn es einen öffentlichen Zwang gäbe, zur Kirche gehören zu müssen. Das hat es früher in unserem Land gegeben, und das soll es nie mehr wieder geben. Deshalb ist die Religionsfreiheit ein so hohes Gut. In vielen Ländern der Welt herrscht bis heute Zwang in Sachen Religion. Vom Evangelium her ist es deshalb so wesentlich, dass niemand zum Glauben gezwungen werden darf.
"Wollt auch ihr weggehen?" Diese Frage Jesu richtet sich an jeden Menschen. Sie ist eine Einladung, sich frei für den Glauben an Jesus zu entscheiden. Auf die Frage Jesu gibt Petrus eine eigenartige Antwort: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens." Meint er damit: Wir haben nichts Besseres gefunden als dich? Das klingt nicht sehr höflich. Aber eigentlich finde ich mich in dieser Antwort selber wieder. Auch ich kann zu Jesus sagen: Ich habe wirklich nichts Besseres gefunden, keinen Besseren als dich. Deine Worte sind unvergleichlich, so voller Leben. Sie halten, was sie versprechen. Sie stimmen fürs Leben und fürs Sterben. Aber eines ist mir auch klar geworden: Dass ich bei dir geblieben bin, dass ich an dich glauben kann, das ist nicht mein Verdienst, sondern dein großes Geschenk! Ich kann dafür nur immer wieder danken.
In jener Zeit sagten viele der Jünger Jesu, die ihm zuhörten: Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören? Jesus erkannte, dass seine Jünger darüber murrten, und fragte sie: Daran nehmt ihr Anstoß? Was werdet ihr sagen, wenn ihr den Menschensohn hinaufsteigen seht, dorthin, wo er vorher war? Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben. Aber es gibt unter euch einige, die nicht glauben. Jesus wusste nämlich von Anfang an, welche es waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. Und er sagte: Deshalb habe ich zu euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist. Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.
Mehr über Kardinal Christoph Schönborn