Wo sind die wirklich Großen in unserer Gesellschaft? Jesus hat gesagt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“
Wo sind die wirklich Großen in unserer Gesellschaft? Jesus hat gesagt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag,
23. September 2018 (Mk 9,30-37)
Worüber habt ihr unterwegs gesprochen? Diese Frage könnte Jesus uns jeden Tag mehrmals stellen. Was wäre die Antwort? Was tun wir, wenn wir zusammenstehen, zusammensitzen und miteinander plaudern, „Smalltalk“ halten, wie man heute sagt? Wie oft geht es dabei um größere oder kleinere Wichtigtuerei! Wie oft ertappe ich mich selber dabei, mich ein wenig hervortun zu wollen, mich in ein gutes Licht zu stellen, und wie leicht geschieht es dann, andere als weniger gut erscheinen zu lassen. Dieses üble Spiel bestimmt weitgehend unser öffentliches Leben. Und leider auch unser privates Verhalten.
Worüber habt ihr unterwegs gesprochen? – fragt Jesus seine Jünger, als sie nach Hause kamen. Warum haben sie Jesus keine Antwort gegeben? Warum schwiegen sie? Wohl weil es ihnen peinlich war, zuzugeben, dass sie unterwegs miteinander darüber gesprochen haben, wer von ihnen der Größte sei. Warum war es ihnen peinlich, das offen zuzugeben? Warum haben sie sich geschämt, einfach einzugestehen, dass sie untereinander solche Machtspiele betreiben? Ich glaube, das kommt aus einem richtigen Empfinden, dass diese Rivalitäten eigentlich etwas Lächerliches sind. Wir spüren das, und dennoch können wir es nicht lassen. Wer unter uns ist der Größere, der Größte, der Beste, der Erfolgreichste?
Angeberei empfinden wir bei anderen als unsympathisch, peinlich. Aber wenn ich ehrlich bin, stelle ich auch bei mir eine Neigung dazu fest. Wahlkampf ist eine Zeit, in der jede Partei zeigen will, dass sie die Beste ist, und das wird meist dadurch versucht, dass die anderen als die Schlechteren hingestellt werden. Und nicht viel anders machen wir es allzu oft im persönlichen Leben.
Aber ist es denn so schlecht, gut dastehen zu wollen? Brauchen wir nicht im Leben Durchsetzungskraft, Stärke, Leistungsfähigkeit? Ist es etwas Böses, wenn wir einen gewissen Ehrgeiz haben? Ist Erfolg gar verboten? Jesus hat nie gesagt, dass es etwas Ungutes sei, der Größte sein zu wollen. Er hat uns nur ein anderes Bild von Größe gezeigt und es selber vorgelebt. Die Sehnsucht nach Erfolg, Anerkennung, Beliebtheit, ja Geliebtsein, zeigt ein urmenschliches Bedürfnis. Wir wollen gut und angenommen und geschätzt sein. Und niemandem geht es gut, wenn er Verachtung, Ablehnung, Geringschätzung erlebt. Aber irgendwie spüren wir, dass Angeberei und Wichtigtuerei diese Sehnsucht nicht erfüllen. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack zurück, wenn wir uns auf Kosten anderer als die Besseren darstellen wollen.
Jesus zeigt uns, was wahre Größe ist: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Nicht wer die anderen klein macht, ist selber groß. Wo sind die wirklich Großen in unserer Gesellschaft? Wer nimmt sie wahr? Wer dankt ihnen? Ich denke da etwa an die Pflegeberufe, die den Alten und Kranken dienen. Oder Familien (meist sind es die Frauen), die die alten Eltern zu Hause pflegen. Die Frage ist wirklich berechtigt: Wer unter uns sind die ganz Großen? Wenn wir sie mit dem Maßstab Jesu suchen, werden wir andere finden, als die, die gerade als die ganz Großen der Welt gelten.
Warum aber stellt Jesus ein Kind in die Mitte? Ein Kind ist klein. Was sagt es uns über die echte Größe? Anderswo hat Jesus gesagt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Kindern kann man nichts vormachen. Sie spüren, ob die Erwachsenen ehrlich und echt sind. Und Kinder machen uns nichts vor. Sie zeigen und sagen, was sie empfinden. Darum sind sie für uns Erwachsene ein heilsamer Spiegel. Vor ihnen hat nur echte Größe Bestand.
In jener Zeit zogen Jesus und seine Jünger durch Galiläa. Jesus wollte aber nicht, dass jemand davon erfuhr; denn er wollte seine Jünger über etwas belehren. Er sagte zu ihnen: Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert, und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen. Aber sie verstanden den Sinn seiner Worte nicht, scheuten sich jedoch, ihn zu fragen. Sie kamen nach Kafarnaum. Als er dann im Haus war, fragte er sie: Worüber habt ihr unterwegs gesprochen? Sie schwiegen, denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer von ihnen der Größte sei. Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.
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