Mit seiner Macht diente er bis zur Lebenshingabe.
Mit seiner Macht diente er bis zur Lebenshingabe.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 21. Oktober 2018 (Mk 10, 35-45)
Macht ist etwas Gutes. Wie alles Gute kann auch die Macht missbraucht werden. Davon handelt das heutige Evangelium. Es betrifft uns alle. Denn alle haben wir Macht. Meist nicht sehr viel. Aber immer haben wir sie, um damit Gutes zu tun. Die Eltern haben Macht über ihre Kinder. Ein kleines Kind ist völlig auf die Hilfe anderer angewiesen. Es vertraut, dass die Eltern für es sorgen. Sie tun es gerne, weil sie ihr Kind lieben. Sie dienen ihm mit ihrer Kraft, ihrem Können. Sie erwarten dafür keinen Dank.
Jedes Können ist eine Macht. Der Elektriker kann Dinge, die ich nicht kann. Ich bin auf seine Hilfe angewiesen. Sein Können dient mir in meiner Unbeholfenheit. Ich wiederum kann manches, was andere nicht können. Alle haben wir Macht in den unterschiedlichen Bereichen. Und überall stoßen wir auf dieselbe Tatsache: unser Können hat nur dann einen Sinn, wenn es anderen dient. Wo wir es dazu verwenden, um über andere zu herrschen, wird Macht missbraucht. Am auffälligsten ist das dort, wo Menschen viel Macht haben. Davon spricht Jesus: "Die Mächtigen missbrauchen ihre Macht über die Menschen."
Das muss nicht so sein. Es gibt auch die positiven Beispiele von Herrschern, die wirklich bemüht waren, den Menschen mit ihrer Macht zu dienen. Es gab und gibt immer wieder heilige Herrscher, Kaiser und Könige, Herzöge wie unseren Landespatron, den heiligen Leopold. Es gibt immer wieder herausragende Politiker, wie Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela, die wirklich den Menschen, dem Wohl ihres Landes gedient haben. Macht muss nicht missbraucht werden. Aber sie kann leicht dazu verleiten. Das sehen wir an der wachsenden Zahl von Diktaturen, in denen Machthaber immer willkürlicher und machtbesessener handeln.
"Bei euch soll es nicht so sein." Jesus hat nicht gegen die Macht gesprochen, sondern für ihren rechten Gebrauch geworben: "Wer bei euch groß sein will, der soll der Diener aller sein." Jesus hätte das nicht sagen müssen, wenn es unter seinen Anhängern immer so zugehen würde, wie er es vorgelebt hat. Die Jünger Jesu sind Menschen, daher ist es nicht verwunderlich, dass es unter ihnen "menschelt". Im Kreis der Zwölf Apostel gab es Rivalitäten, wie in jeder Gruppe. Manche, die dem "Chef" besonders nahe standen. Drei der Zwölf hat Jesus immer wieder hervorgehoben: Petrus, den er an die Spitze der Gruppe gestellt hat, und die beiden Brüder Jakobus und Johannes. Kein Wunder, dass die anderen eifersüchtig waren.
Jakobus und Johannes waren von Anfang an dabei. So dachten sie sich: Wenn Jesus einmal König wird, wenn er sein Reich errichtet, dann werden sie mit ihm an erster Stelle herrschen. So menschlich, so weltlich waren ihre Vorstellungen. Und so ahnungslos! Jesus wird als König kommen. Aber seine Herrschaft sieht ganz anders aus: "Der Menschensohn (so nennt sich Jesus oft selber) ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen." Und sein Dienst wird darin bestehen, dass er sein Leben hingibt, um uns Menschen zu befreien.
Hingabe - das ist das Schlüsselwort zum rechten Gebrauch der Macht. Einen Handwerker beobachten, der seine Arbeit genau und gründlich macht, eben mit Hingabe, das erfüllt mich mit Bewunderung. Es stimmt: Macht wird oft missbraucht. Aber ich bin sicher: Sie wird viel öfter dazu verwendet, wofür sie uns gegeben ist: um anderen zu dienen!
In jener Zeit traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen. Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind. Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.
Mehr über Kardinal Christoph Schönborn
Die "Gedanken zum Evangelium" jeden Sonntag auf "radio klassik Stephansdom" zum Nachhören: