Therese von Lisieux ist Kardinal Schönborns Lieblingsheilige. Er hat im Stephansdom ein Bild der heiligen Therese anbringen lassen. Täglich beten viele Menschen davor.
Therese von Lisieux ist Kardinal Schönborns Lieblingsheilige. Er hat im Stephansdom ein Bild der heiligen Therese anbringen lassen. Täglich beten viele Menschen davor.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Fest Allerheiligen, 1. November 2018 (Mt 5,1-12a)
Es ist kein Geheimnis, dass in den Medien schlechte Nachrichten mehr interessieren als gute. Katastrophen werden sofort gemeldet. Sie gelten als „breaking news“, als Nachrichten, die alle anderen Meldungen verdrängen. Über den normalen Alltag schreiben die Zeitungen selten. Wenn aber etwas Außerordentliches geschieht, ist es sofort ein Thema: Unfälle, Verbrechen, Naturkatastrophen, das interessiert die Leute. Mir geht es da nicht anders als allen, die täglich die Nachrichten lesen, hören, sehen. Warum ist das so? Ist es Neugierde? Sensationsgier? Oder echte Anteilnahme? Ist es gar Mitgefühl mit den von diesen Ereignissen Betroffenen?
Wahrscheinlich ist es von allem ein bisschen. Ich glaube, es steckt aber noch etwas anderes hinter dem Interesse an den schlechten Nachrichten, die den Großteil unseres Medienkonsums ausmachen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gute, das täglich geschieht, unvergleichlich größer ist als das Negative, das uns in den Medien begegnet. Und das hat seinen guten Grund. Wir nehmen ganz selbstverständlich an, dass normalerweise das Gute geschieht und dass das Schlechte die Ausnahme ist. Deshalb fällt es uns viel mehr auf und zieht unsere Aufmerksamkeit an. Ich glaube, es geschieht viel mehr Gutes als wir meist annehmen. Aber das Gute macht keinen Lärm. Das Negative macht Schlagzeilen. Das Gute geschieht als das Normale, und über das Normale wird selten berichtet.
Warum bewegt mich gerade heute, an Allerheiligen, dieser Gedanke? Weil Allerheiligen das Fest des vielen Guten ist, das getan wurde und wird, ohne Lärm zu machen. Heute erinnert die Kirche an die zahllosen Menschen, die durch ihr Leben Spuren des Guten hinterlassen haben. Wir dürfen sie die Heiligen nennen.
Heilige, sind das nicht ganz außergewöhnliche Menschen, „Spitzensportler des Guten“? Menschen von solcher Größe, dass wir „normalen Sterblichen“ nie an sie heranreichen können? Es stimmt schon, dass es unter den bekannten und berühmten Heiligen solche gibt, die außerordentliche Gaben hatten. Als damals Sechzehnjähriger durfte ich 1961 Padre Pio erleben, der heute wohl beliebteste Heilige Italiens, zu dessen Grab jährlich sieben Millionen Pilger kommen. Er hat schon zu Lebzeiten viele Wunder gewirkt. Er konnte in den Herzen der Menschen lesen. Fünfzig Jahre lang trug er an Händen und Füßen die Wundmale Jesu. Die Begegnung mit ihm gehört zu den unvergesslichen Momenten meines Lebens.
Wenn Heilige nur derart außergewöhnliche Gestalten sind, dann kann wohl kaum ein „normaler Sterblicher“ in den erhabenen Kreis der Heiligen gelangen. Meine Sicht auf die Heiligen hat sich stark verändert durch meine Lieblingsheilige, die kleine heilige Therese von Lisieux. Als ich Erzbischof von Wien wurde, habe ich ihr Bild im Stephansdom anbringen lassen. Täglich beten viele Menschen davor. Diese Ordensfrau, die schon mit 24 Jahren starb, war überzeugt, dass wir alle Heilige werden können, wirklich alle. Und dazu braucht es keine Wunder, keine übermenschlichen Leistungen. Nur zwei Dinge sind notwendig: ein kindliches Gottvertrauen und die kleinen Schritte des Guten im Alltag. Sie nannte das den „kleinen Weg“, und sie hat vielen Menschen in der ganzen Welt Mut gemacht, diesen Weg im Alltag zu gehen. Er macht keinen Lärm. Aber er verändert die Welt.
In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.
Mehr über Kardinal Christoph Schönborn
Die "Gedanken zum Evangelium" jeden Sonntag auf "radio klassik Stephansdom" zum Nachhören: