Erscheinungs-Grotte in Lourdes: Ein Strom an Gnaden und seelischer Hilfe
Erscheinungs-Grotte in Lourdes: Ein Strom an Gnaden und seelischer Hilfe
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Fest Maria Empfängnis am 8. Dezember 2018
Es war am 11. Februar 1858. Ein vierzehnjähriges Mädchen namens Bernadette ist mit zwei Freundinnen unterwegs, um Holz zu sammeln. Die Familie von Bernadette ist völlig verarmt. Die Kinder suchen Brennholz, um ein wenig heizen zu können. Als sie am Flussufer bei einer Grotte Holz klauben, sieht Bernadette in einer Öffnung der Felsgrotte eine Frauengestalt, die ihr schweigend zulächelt. Bernadette blickt gebannt zu „dieser da“, wie sie sie nachher nennt, da die Frau ihr keinen Namen sagt. Als die Frau nicht mehr zu sehen ist, fragt Bernadette ihre Freundinnen, ob sie auch diese Frau gesehen haben. Sie hatten nichts wahrgenommen, erzählen aber sofort, Bernadette habe eine „Erscheinung“ gehabt.
Schnell verbreitet sich die Nachricht, in Lourdes sei die Muttergottes erschienen. Achtzehn Mal sah Bernadette, und nur sie alleine, jene Dame, die ihren Namen verschwieg, aber Bernadette mehrere Aufträge anvertraute. Der Ortspfarrer war lange misstrauisch bis ablehnend. Er drängte Bernadette, sie solle die Dame nach ihrem Namen fragen. Schließlich erhielt sie eine Antwort: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis.“ Bernadette wusste nicht, was dieses Wort bedeutet, eilte aber zum Pfarrer, um es ihm zu sagen. Von da an war Pfarrer Peyramale überzeugt, dass es wirklich Marienerscheinungen waren, denn diesen geheimnisvollen Namen konnte Bernadette nicht erfunden haben.
Seit 1858 ist Lourdes einer der größten Wallfahrtsorte der Welt. Millionen von Pilgern suchen jedes Jahr den Ort auf, an dem Maria ihre besondere Nähe gezeigt hat. Was macht Lourdes so anziehend? Warum zieht es auch mich immer wieder nach Lourdes? Mich berührt vor allem die Schlichtheit des Ortes: eine Felsgrotte am Flussufer, nichts Besonderes. Hier hat Maria ein armes Mädchen zur Botin ihrer Liebe zu den Menschen, besonders zu den Kranken, gemacht. Immer wieder gibt es beeindruckende Heilungen. Das eigentliche Wunder von Lourdes sind die vielen Kranken, die hier an der Grotte den Trost und die Hilfe Mariens erfahren. Von Lourdes geht ein Strom an Gnaden und seelischer Hilfe aus.
Was aber bedeutet der rätselhafte Name, den Maria sich selber gegeben hat, und den Bernadette anfangs gar nicht verstand? Vier Jahre zuvor, 1854, hatte Papst Pius IX. als Dogma verkündet, dass Maria „vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an … von jedem Makel der Ursünde bewahrt“ geblieben ist. Heute ist das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Was da gefeiert wird, warum der 8. Dezember in Österreich ein Feiertag ist, das ist wohl vielen nicht (mehr) bekannt und bewusst. Und doch hatte das heutige Fest gerade in Österreich einen tiefen Rückhalt im Volk.
Im Jänner dieses Jahres war ich wieder für einige Tage in Lourdes. In der winterlichen Stille (und Kälte) an der Erscheinungsgrotte konnte ich über diesen rätselhaften Namen Mariens nachdenken: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis.“ Maria wurde von ihren Eltern, Joachim und Anna, empfangen, wie jedes Menschenkind. Mit einem Unterschied. Wir alle sind in eine Schicksalsgemeinschaft verwoben. Da gibt es viel Licht, aber auch Schatten, viel Gutes, aber auch Böses. Wir alle tragen Wunden und schlagen Wunden. Und alle haben wir mit unserem Ich zu kämpfen, dass sich in den Mittelpunkt stellt und andere verdrängt. Die Kirche nennt das die „Erbsünde“, die alle Menschen belastet, außer Maria, die davon frei geblieben ist, von allem Anfang an. Deshalb grüßt sie der Engel: „Du bist voll der Gnade.“
Ich beobachte die vielen Pilger in Lourdes. Warum wenden sie sich vertrauensvoll an Maria? Irgendwie spüren sie: Diese Frau, die Mutter Jesu, ist für alle zugänglich. Sie ist ganz frei von sich selber, und daher ganz da für uns alle. Das, so meine ich, steckt hinter Marias geheimnisvollen Namen.
Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben. Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. Siehe, auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar gilt, ist sie schon im sechsten Monat. Denn für Gott ist nichts unmöglich. Da sagte Maria: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.
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