"Wie viel Gewalt und Leid ließe sich vermeiden, wenn wir auf das Wort des anderen besonnen reagieren würden!", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Wie viel Gewalt und Leid ließe sich vermeiden, wenn wir auf das Wort des anderen besonnen reagieren würden!", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium, am Sonntag, 3. Februar 2019 (Lukasevangelium 4,21-30)
„Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt!“ Dieses Wort Jesu lautet wörtlich übersetzt: „Heute hat sich dieses Schriftwort in euren Ohren erfüllt.“ Das hat mich nachdenklich gemacht. Was geschieht da in den Ohren der Zuhörer Jesu? Jesus hat in seiner Heimatstadt Nazareth am Sabbat die Synagoge besucht. Man hat ihm die Bibel gereicht und er hat daraus eine Stelle aus dem Propheten Jesaja vorgelesen.
Die Menschen, die ihm zuhörten, „stimmten ihm alle zu; sie staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen“. In ihren Ohren klang das, was Jesus sagte, gut. Sie konnten seine Worte annehmen und gutheißen. Und doch bleibt es nicht lange so. Es genügten einige andere, gewiss etwas provokante Worte Jesu „in ihrem Ohr“, und schon „gerieten sie in Wut“, trieben den eben noch bewunderten Landsmann zur Stadt hinaus und wollten ihn umbringen, indem sie versuchten, ihn von der Felswand, auf der ihre Stadt gebaut war, hinunterzustürzen.
Wie ist es möglich, dass durch einige Worte die Stimmung völlig kippt? Aus Bewunderung wird Hass, aus Zustimmung totale Ablehnung. Und all das spielt sich „in euren Ohren“ ab. Dieser plötzliche Wandel regt mich an, über das Hören nachzudenken. Es ist ja etwas höchst Geheimnisvolles, dass wir über unsere Sinne die Welt um uns wahrnehmen. Durch die fünf Sinne begegnet uns die Wirklichkeit. Durch den Tastsinn „be-greifen“ wir unsere Umwelt. Durch den Geruchs- und Geschmacksinn „verkosten“ wir die Dinge, mit den Augen erblicken wir, mit den Ohren vernehmen wir, was uns umgibt.
Alle fünf Sinne sind direkt mit dem Gemüt verbunden. Zwischen dem, was unsere Sinne wahrnehmen, und unserer Seele besteht ein direkter Zusammenhang. Gute Sinneseindrücke tun dem Gemüt wohl, negative belasten es. Das sind alles wohlbekannte Dinge. Warum kippt manchmal die Stimmung, warum schlagen sich Dinge aufs Gemüt?
Was sagt uns das heutige Evangelium dazu? Der Besuch Jesu in seiner Heimatstadt löst zuerst Begeisterung und Bewunderung aus. Seine Landsleute haben von den eindrucksvollen Wundern gehört, die er an anderen Orten vollbracht hat. Und sie erwarten sich, dass er auch bei ihnen, in seiner Heimat, mindestens so große Dinge tut wie in anderen Städten.
Jesus sagt ihnen klipp und klar, dass sie von ihm kein spektakuläres Wunder erleben werden, nur weil sie seine Landsleute sind. Auch die beiden großen Propheten, Elija und Elischa, haben nicht in ihrer Heimat Wunder gewirkt, wohl aber im heidnischen Ausland. Über diese Worte Jesu wurden seine Mitbürger so wütend, dass die Bewunderung in Hass umschlug.
Die Lehre aus dieser dramatischen Geschichte: Wenn wir etwas hören, was uns enttäuscht, unsere Eitelkeit verletzt, unseren Stolz kränkt, dann sollen wir nicht gleich reagieren, wie die Leute in Nazareth. Sie haben Jesu scheinbar harte Worte nicht in Ruhe bedacht und haben mit blinder Wut überreagiert, statt sich zu besinnen auf das, was Jesus ihnen zeigen wollte. Wie viel Gewalt und Leid ließe sich vermeiden, wenn wir auf das Wort des anderen besonnen reagieren würden!
Da begann Jesus, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt. Alle stimmten ihm zu; sie staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen, und sagten: Ist das nicht Josefs Sohn? Da entgegnete er ihnen: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat! Und er setzte hinzu: Amen, ich sage euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.
Wahrhaftig, das sage ich euch: In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam. Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon. Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman. Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen. Er aber schritt mitten durch sie hindurch und ging weg.
Mehr über Kardinal Christoph Schönborn