Die Fastenzeit sollte eine Gelegenheit sein, bewusster zu leben, wacher zu werden für den Augenblick, gesammelter zu sein in allem, was ich zu tun habe.
Die Fastenzeit sollte eine Gelegenheit sein, bewusster zu leben, wacher zu werden für den Augenblick, gesammelter zu sein in allem, was ich zu tun habe.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 24. März 2019 (Lk 13,1-9)
Fastenzeit ist Zeit der Umkehr. „Bitte wenden!“ – sagt die Stimme im GPS, wenn wir in die falsche Richtung gefahren sind. Bitte umkehren! – sagt uns das heutige Evangelium. Jesus ist überdeutlich, in drei Worten, die alle nur auf eines abzielen: die Umkehr! Und zwar nicht die der anderen, sondern meine eigene. Jesus sagt zuerst mir persönlich: Bitte wenden! Bitte kehr um! Und schon jetzt weiß ich: Das ist vielleicht das Schwierigste im Leben. Umso tröstlicher ist es, dass Jesus heute zeigt, wie geduldig Gott mit uns ist.
Man berichtet Jesus von einer brutalen Bluttat des römischen Statthalters, der bald auch Jesus gegenüber das Bluturteil der Kreuzigung sprechen wird. Landsleute Jesu, aus Galiläa, wurden von den Römern als Rebellen verdächtigt. Pilatus macht kurzen Prozess und lässt sie während einer heiligen Handlung im Tempel in Jerusalem niedermetzeln. Ihr Blut mischt sich mit dem der Opfertiere. Was Pilatus tat, ist um nichts besser als was heute Terroristen tun, die auf einem menschenreichen Marktplatz ein Selbstmordattentat verüben. Zahlreiche Tote und viele zum Teil Schwerverletzte.
Warum trifft es gerade die, die in diesem Moment am Marktplatz waren? War es blindes Schicksal? Reiner Zufall? Oder hat Gott es zugelassen? War es gar eine Strafe Gottes? Letzteres lehnt Jesus entschieden ab. Das blutige, schreckliche Ereignis, von dem wir hören, ist zuerst eine Mahnung an uns: Auch wir können in einen Terrorangriff geraten, auch wenn das in unserem so sicheren Heimatland höchst unwahrscheinlich ist.
Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass wir in einen Unfall verwickelt werden. Auf das zielt Jesu Beispiel ab. In Jerusalem ist ein Turm eingestürzt und hat achtzehn Menschen unter sich begraben. Täglich hören wir von solchen Unglücksfällen, vor kurzem erst der Flugzeugabsturz in Äthiopien. Drei junge österreichische Ärzte waren unter den Opfern. Bei jeder Autofahrt denke ich daran: Auch ich kann in einen schweren Autounfall geraten.
Was ist die Schlussfolgerung Jesu? Ihr werdet „genauso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt.“ Ist das Angstmacherei? Sollen wir aus Angst vor Unfällen fromm werden? Religion als Angst vor dem Leben? So lese ich diese Worte Jesu nicht. Ich glaube, es geht um eine positive Haltung. Das Leben ist kostbar. Jeder Tag ist ein Geschenk. Umkehr heißt für mich: Besinnen auf das Jetzt, den Augenblick, das Gegenwärtige. Beim Absturz des Flugzeugs in Äthiopien war mein erster Gedanke: Wie ging es den 153 Opfern in den letzten Augenblicken ihres Lebens?
Die Fastenzeit sollte eine Gelegenheit sein, bewusster zu leben, wacher zu werden für den Augenblick, gesammelter zu sein in allem, was ich zu tun habe. So verstehe ich auch das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum im Weingarten. Es geht um die Fruchtbarkeit unseres Lebens. Ein Feigenbaum, der jahrelang keine Früchte trägt, ist nutzlos, laugt nur den Boden aus. Der Winzer hat die Hoffnung nicht aufgegeben. Ein Jahr will er es noch probieren, mit Dünger und Geduld. Vielleicht bringt er doch noch Frucht...
Fastenzeit, Zeit zum Umkehren. Ich sehe schon, wie es ausgehen wird: Meine alten Fehler werde ich kaum überwinden. Also resignieren? Jesu Botschaft hilft mir: Gott ist geduldig mit mir! Nur eines erwartet er ernsthaft von mir: Sei auch du geduldig mit den anderen! Das ist schon ein Stück echter Umkehr!
Zur gleichen Zeit kamen einige Leute und berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit dem ihrer Opfertiere vermischt hatte. Und er antwortete ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder waren als alle anderen Galiläer, weil das mit ihnen geschehen ist? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle genauso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt. Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms am Schiloach erschlagen wurden - meint ihr, dass sie größere Schuld auf sich geladen hatten als alle anderen Einwohner von Jerusalem? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle ebenso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt. Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen!
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