Jesus lädt mich ein, neu anzufangen. Lassen auch wir die Steine fallen, die wir auf andere werfen wollen? Hören auch wir auf, andere zu verurteilen?
Jesus lädt mich ein, neu anzufangen. Lassen auch wir die Steine fallen, die wir auf andere werfen wollen? Hören auch wir auf, andere zu verurteilen?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 7. April 2019 (Joh 8,1-11)
Es ist zweifellos eines der bekanntesten und berühmtesten Worte Jesu: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“ Zu Recht wird es oft zitiert, denn es passt auf so viele Lebenssituationen. Es drückt besonders deutlich die Grundhaltung Jesu aus. Es ist, so könnte man sagen, ein Kernsatz des Evangeliums, ein Wort, das alles zusammenfasst, was Jesu Herzensanliegen ist.
Die Szene wird mit wenigen Worten anschaulich geschildert. Wie so oft, wenn Jesus in Jerusalem war, lehrte er im Tempel, und immer drängten sich die Menschen, um ihm zuzuhören. Einer von ihnen hat es auf den Punkt gebracht: „Noch nie hat ein Mensch so gesprochen wie dieser!“ Aber nicht alle hörten ihn gerne. Das Volk liebte ihn. „Die Schriftgelehrten und die Pharisäer“, also die religiösen Autoritäten, waren misstrauisch, ja zum Teil ausgesprochen feindlich gesonnen. Sie suchten immer wieder, ihm Fallen zu stellen, um endlich einen Grund zu haben, ihn vor Gericht zu bringen. Er war ihnen lästig, schien ihnen gefährlich.
Da bot sich eine ideale Gelegenheit. Man hat eine Frau auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt. Nach dem Gesetz muss sie getötet werden. Was wird Jesus sagen? Wird er auch hier die Barmherzigkeit fordern, gegen das Gesetz? Oder wird er die Einhaltung des Gesetzes verlangen, gegen seine eigene Lehre von Vergebung und Barmherzigkeit? Den Anklägern der Frau geht es nur darum, Jesus anklagen zu können.
Was jetzt geschieht, gehört für mich zu den eindrucksvollsten Szenen aus dem Leben Jesu. Er bückt sich und schreibt still mit dem Finger in den Staub der Erde. Sie lassen nicht locker, bedrängen ihn, eine Antwort zu geben. Schließlich gibt er sie ihnen: „Wer von euch ohne Sünde ist“, der soll mit der Steinigung anfangen. Und bückt sich wieder. In der Totenstille dieser Szene hört man nur die Steine zu Boden fallen, die sie wurfbereit in Händen hielten. Schweigend gehen sie weg, einer nach dem anderen, „zuerst die Ältesten“.
Dieser kleine Hinweis berührt mich persönlich. Was hat Jesus getan, gesagt? Er hat nicht erklärt, dass Ehebruch harmlos ist. Er hat nur alle aufgefordert, sich an ihre eigenen Sünden zu erinnern. Wer schon älter ist und ehrlich auf sein Leben schaut, wird feststellen, dass er nicht frei von Fehlern und Sünden durchs Leben gegangen ist. Lassen auch wir die Steine fallen, die wir auf andere werfen wollen? Hören auch wir auf, andere zu verurteilen?
„Auch ich verurteile dich nicht.“ Dieses Wort Jesu soll uns tief ins Herz dringen. Selbst wenn mein Gewissen mich anklagt, Jesus verurteilt mich nicht! Er sagt nur: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ Er lädt mich ein, neu anzufangen. Sein Blick ist ohne Vorwurf, ohne Ablehnung, nur Güte und Wohlwollen. Eine Frage bleibt mir: Hat diese Frau seither nie mehr gesündigt? Schaffe ich es, fehler- und sündenlos durchs Leben zu gehen? Ich glaube, Jesus wird mir auch dann wieder sagen: Ich verurteile dich nicht!
Jesus aber ging zum Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es. Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!
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