Jesus ist auferstanden. Trotzdem bleiben Fragen und Zweifel. Ist das alles nicht Einbildung, frommes Gefühl?
Jesus ist auferstanden. Trotzdem bleiben Fragen und Zweifel. Ist das alles nicht Einbildung, frommes Gefühl?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 28. April 2019 (Joh 20,19-31)
Was hat sich durch die Auferstehung Jesu an der Welt geändert? Ein Toter ist wieder am Leben. Und trotzdem sterben täglich viele tausende Menschen. Zu Ostern wird freudig Halleluja gesungen. Aber das Leid in der Welt ist nicht weniger geworden. Jesus ist der Erlöser der Welt! So bekennen die Christen, besonders zu Ostern. Schauen wir Christen deshalb erlöster aus?
Woran kann man erkennen, dass Ostern dennoch die Welt verändert hat? Behutsam will ich versuchen, Spuren zu suchen und zu zeigen, die uns wenigstens eine Ahnung davon geben, dass Jesus wirklich auferstanden ist und lebt und bei uns ist alle Tage, wie er versprochen hat. Einige dieser Spuren lese ich im heutigen Evangelium und in meiner eigenen Erfahrung.
Die Tage in Jerusalem müssen für die Jünger und Jüngerinnen Jesu voller Schrecken und Schmerzen gewesen sein: die Verhaftung Jesu, die Flucht der Apostel, die sich in ihrem Quartier verstecken, sein Tod, seine Grablegung. Einfach alles aus! Und die Angst, selber verhaftet zu werden. In diese Stimmung kommt plötzlich Jesus und grüßt sie mit dem schlichten Wort „Shalom“, „der Friede sei mit euch!“, das er gleich zwei Mal sagt. Und Friede und Freude kehren in die aufgescheuchten Herzen ein. Genau diese Erfahrung kenne ich gut. Auch wenn ich Jesus nicht sehen kann, wie oft habe ich diesen Frieden erlebt, der in schwierigen, sorgenvollen Momenten plötzlich da ist. Ich spüre dann deutlich: Dieser Frieden kommt nicht von mir, sondern von Jesus. Er hat es versprochen: „Meinen Frieden gebe ich euch.“ Jesus ist nicht nur eine ferne Erinnerung. Er lebt und ist da, für uns.
Eine andere Erfahrung ist für mich ein starkes Zeichen, dass Jesus lebt: die Vergebung, die Befreiung von Sünde und Schuld. Als erstes Geschenk hat Jesus nach seiner Auferstehung nicht Reichtum und Macht verheißen. Viel Kostbareres hat er gegeben, etwas, über das kein Psychotherapeut verfügt: die Sündenvergebung! Niemand geht ohne Fehler und Verfehlungen durchs Leben. Keiner bleibt sündenfrei. Aber wer kann uns von Sünden befreien? Ärzte und Psychotherapeuten sind wichtig und wertvoll. Freunde können helfen, mit Schuldgefühlen und mit echter Schuld umzugehen. Wirkliche Lossprechung, tiefe Befreiung kann nur die Vergebung Gottes schenken. Die Beichte kann das vermitteln. Ich habe viele positive Erfahrungen mit dem Sakrament der Beichte. Ich weiß, dass es leider auch schlechte Erlebnisse in diesem Bereich gibt. Aber wie viele Menschen haben die Freude einer echten Vergebung gespürt. Dass Jesus lebt, das zeigt sich in der Erfahrung, dass er uns vergibt.
Trotzdem bleiben Fragen und Zweifel. Ist das alles nicht Einbildung, frommes Gefühl? Beweisen solche Erfahrungen wirklich, dass Jesus auferstanden ist? Da kommt uns der Zweifler Thomas zu Hilfe. Er will es genau wissen. Er braucht handgreifliche Beweise, um zu glauben. Thomas hat viele Geschwister unter unseren Zeitgenossen, die denken: Glauben heißt nichts wissen! Und Thomas bekommt eine überwältigende Antwort. Er darf Jesus sehen und berühren, seine Hände in die Wunden Jesu legen. Und seither glaubt er aus ganzem Herzen.
Und wir? Das Erlebnis des Thomas ist uns nicht geschenkt. Aber sein Zeugnis ist glaubwürdig. Auch wenn ich nicht wie er sehen durfte, glauben kann ich. Dazu braucht es Vertrauen. Und Vorbilder! Was wäre mein Glauben ohne die vielen Menschen, deren Glauben mich beeindruckt hat. Sollten die sich alle getäuscht haben?
Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten. Thomas, der Didymus genannt wurde, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Noch viele andere Zeichen hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.
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