„In dieser Nacht fingen sie nichts.“ - Vorerst erleben die Jünger bittere Enttäuschung. Im Morgengrauen aber sehen sie jemanden am Seeufer stehen: „Es ist der Herr!“
„In dieser Nacht fingen sie nichts.“ - Vorerst erleben die Jünger bittere Enttäuschung. Im Morgengrauen aber sehen sie jemanden am Seeufer stehen: „Es ist der Herr!“
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 5. Mai 2019 (Joh 21,1-14)
So sagen wir nach einem Trauerfall. Ein lieber Mensch ist gestorben. Wie sind wie betäubt. Alles scheint aus den Fugen zu geraten. Nichts ist mehr wie vorher. Aber allmählich klingt der stechende Schmerz ab. Langsam nimmt uns der Alltag wieder in den Griff. Dann pflegen wir zu sagen: Das Leben geht weiter. Eine Zeitlang machen wir uns Vorwürfe, dass wir nicht mehr ständig den Schmerz des Abschieds empfinden. Wir beginnen uns daran zu gewöhnen, dass der liebe Mensch nicht mehr da ist. Aber so ist eben das Leben. Es geht weiter!
Ein wenig stelle ich mir die Situation vor, von der heute im Evangelium die Rede ist. Während ich darüber nachdenke, wie es den Jüngern Jesu damals ergangen ist, blicke ich hinunter auf den See Gennesareth. Ich verbringe einige Tage im Heiligen Land, dankbar für dieses Geschenk, gerade in der Osterzeit als Pilger dort zu sein, wo Jesus gewirkt hat.
Irgendwie musste ja das Leben auch damals weitergehen. Jesus war gestorben. Doch nach drei Tagen hatten zuerst seine Jüngerinnen, dann auch seine Jünger die unfassbare Erfahrung, dass Jesus lebt. Das Grab war leer. Und mehrere Male ist Jesus ihnen erschienen, aber anders als zu Lebzeiten. Er kam, trotz verschlossener Türen, war da, mitten unter ihnen, sprach mit ihnen, ließ sich berühren und war dann doch wieder weg, unsichtbar. Die Freude war übergroß: Er ist auferstanden! Er lebt! Aber die Jünger mussten weiterleben, mussten von etwas leben. Petrus, der Praktiker, sagt deshalb nüchtern: „Ich gehe fischen!“ Das war sein Beruf. Nach den drei Jahren der spannenden Zeit, die sie mit Jesus unterwegs waren, kehrt er zu seinem früheren Leben zurück. Das Leben muss weitergehen.
Und doch ist nichts mehr wie vorher. Der Kreis der Jünger Jesu ist nicht einfach zerfallen. Sie bleiben zusammen. Sie gehen mit Petrus fischen. Sie ahnen noch nicht, dass sie auf ganz andere Weise mit Petrus Fischer sein werden, als Apostel, die in die ganze Welt hinausgehen, zu allen Menschen, allen Völkern. Vorerst erleben sie die bittere Enttäuschung: „In dieser Nacht fingen sie nichts.“
Im Morgengrauen sehen sie jemanden am Seeufer stehen, der sie anspricht. Sie erkennen ihn nicht. Aber sie folgen seinem Rat, das Netz nochmals auszuwerfen. Es ist in kürzester Zeit randvoll. Der Lieblingsjünger Jesu, Johannes, begreift: Der am Ufer kann nur Jesus sein. „Es ist der Herr!“ Da zeigt sich Petrus in seiner direkten Art, wie so oft schon zuvor: Er springt ins Wasser, schwimmt ans Ufer, zu Jesus hin. Ich staune immer wieder über Petrus, sein großes Herz, seine Liebe zu Jesus, obwohl er ihn verleugnet hat oder vielleicht gerade deshalb.
Nein, das Leben geht nicht einfach weiter wie vorher. Petrus ist immer noch derselbe, und doch ist er ein anderer geworden. Die Zeit mit Jesus hat ihn geprägt. Er und die anderen Jünger und Jüngerinnen sind nicht einfach zu ihrem früheren Alltag zurückgekehrt. Natürlich ging für sie, wie für uns alle, das Leben weiter. Aber sie waren dem begegnet, der für sie zum Lebensweg geworden war. Bald hörten die Erscheinungen auf. Aber geblieben ist, was er ihnen dort, beim See Gennesareth, auf der Anhöhe, von der aus ich jetzt den ganzen See überblicken kann, gesagt hat. Und diese Zusage hat ihr Leben bleibend verändert: „Siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Danach offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tiberias, und er offenbarte sich in folgender Weise. Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus, Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See. Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot - sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen - und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen. Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt! Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch. Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war.
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