„Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Diese Frage eines frommen Juden ist der Ausgangspunkt. Ist seine Frage von damals, vor zweitausend Jahren, auch heute noch brennend?
„Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Diese Frage eines frommen Juden ist der Ausgangspunkt. Ist seine Frage von damals, vor zweitausend Jahren, auch heute noch brennend?
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 14. Juli 2019 (Lukas 10,25-37).
Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter gehört zu den ergreifendsten und herausforderndsten Erzählungen Jesu. „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Diese Frage eines frommen Juden ist der Ausgangspunkt. Ist seine Frage von damals, vor zweitausend Jahren, auch heute noch brennend? Wen beschäftigt es, wie das ewige Leben zu erlangen sei? Viele glauben gar nicht an ein Leben nach dem Tod. Hinter der Frage nach dem ewigen Leben steht die Sorge, die auch uns heutige Menschen bewegt: Wie gelingt mein Leben, nicht nur kurzfristig, sondern auf Dauer, über die Jahre hinweg, durch Krisen, Krankheit, über den Rand der Gegenwart hinaus?
Die Antwort Jesu ist denkbar einfach: Dein Leben hat Halt und Erfolg nur durch eines: die Liebe! Liebe, dann lebst du! Nur die Liebe macht dein Leben lebendig. Liebe Gott und deinen Nächsten und dich selbst! Der fromme Jude kommt mit einer Gegenfrage, die uns allen vertraut ist: Wer ist mein Nächster? Dahinter steckt die Schutzbehauptung: Ich kann doch nicht die ganze Welt lieben! Ich habe schon genug damit zu tun, mich um meine Familie zu kümmern! Soll ich auch noch alle Ausländer lieben? Und alle, die irgendwo auf der Welt Hunger haben? Wer ist denn mein Nächster?
Jesus beginnt nicht, dem Fragenden einen theoretischen Vortrag zu halten, um ihm eine allgemeine Antwort auf seine allgemeine Frage zu geben. Er erzählt einfach eine Geschichte. Alle wissen, wie gefährlich der steile Weg ist, der von Jerusalem über tausend Höhenmeter durch Schluchten nach Jericho hinabführt. Alle wissen, dass es auf diesem Weg immer wieder Überfälle durch Räuber gibt.
Von einem solchen Überfall erzählt Jesus. Schwer verletzt, ausgeraubt, halbtot liegt da einer am Wegrand, als zwei Geistliche denselben Weg von Jerusalem herabkommen. Beide sehen den Verletzten und gehen schnell weiter. Jeder Zuhörer Jesu versteht diese Reaktion: Wir handeln doch fast alle so, wenn wir an einer Situation vorbeikommen, die uns gefährlich erscheint. Nur schnell weitergehen! Nur nicht hineinverwickelt werden! Die Räuber könnten ja noch hinter einem Felsen auf das nächste Opfer lauern.
Ausgerechnet ein Ausländer, ein Mann aus dem benachbarten, verfeindeten Samarien, bleibt stehen, unterbricht seine Reise, riskiert sein Leben, stellt alles hintan, seinen Terminkalender, seine Sicherheit, und tut das, was ihm sein Mitgefühl sagt: Da ist ein Mensch, der Hilfe braucht. Er fragt nicht, ob der Verwundete zum eigenen Volk oder zu den verfeindeten Juden gehört. Für ihn zählt nur der Mensch, und für den Menschen, der jetzt und sofort Hilfe braucht, lässt er alles andere liegen und stehen. Er hilft nachhaltig, indem er den Verletzten in eine Herberge bringt und für seine weitere Genesung Sorge trägt.
Die Antwort auf die Frage Jesu ist klar: Wer von den dreien ist dem Ausgeraubten der Nächste geworden? Mit seiner Geschichte hat Jesus die Frage des frommen Juden umgedreht: Wer ist mein Nächster? Nein: Wem gegenüber verhältst du dich als Nächster? Wer immer sich heute wie der Barmherzige Samariter benimmt, stellt nicht theoretische Fragen, sondern packt an, springt ein, hilft dort, wo ein Mensch in Not ist. Jesu Schlussfolgerung: „Geh und handle genauso.“ Großer Dank gilt all den guten Samaritern, die ohne viel zu fragen einfach helfen, wo sie auf Menschen stoßen, die Hilfe brauchen. Denn jeder von uns kann einmal ein solcher Mensch in Not sein.
Und siehe, ein Gesetzeslehrer stand auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben! Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Und am nächsten Tag holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du genauso!
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