"Das heutige Gleichnis lässt mir keine Ruhe, wenn ich an unsere Zeit denke. Immer noch herrscht als oberste Regel der Wirtschaft: Sie muss wachsen!", so Kardinal Schönborn.
"Das heutige Gleichnis lässt mir keine Ruhe, wenn ich an unsere Zeit denke. Immer noch herrscht als oberste Regel der Wirtschaft: Sie muss wachsen!", so Kardinal Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 4. August 2019 (Lk 12,13-21)
Jesus erzählt heute ein Gleichnis, das wie eine Beschreibung unserer Zeit klingt. Eigentlich wirkt es nicht wie die Beschreibung unserer ganzen heutigen Welt, sondern nur eines Teiles der gegenwärtigen Weltsituation. Jesus wird gebeten, er möge doch in einem Erbstreit zwischen zwei Brüdern vermitteln. Er lehnt das klipp und klar ab. Stattdessen warnt er alle seine Zuhörer „vor jeder Art von Habgier“. Und er gibt dafür auch eine Begründung: „Denn das Leben eines Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt.“
Und wie so oft macht Jesus das, was er sagen will, mit einer Geschichte deutlich, einem Gleichnis. Denn Geschichten sind anschaulich. Jesus liefert keine Theorien, keine allgemeinen Welterklärungen, er spricht uns immer direkt und persönlich an. So auch in dem Gleichnis von dem reichen Mann, der noch reicher werden will. Er hat eine Superernte. Um sie einzubringen, sind ihm seine Scheunen zu klein. Er lässt sie abreißen und größere bauen. Was er nicht bedacht hat: Er wird eines plötzlichen Todes sterben, „noch in dieser Nacht“. Was hat er dann von all seinem Reichtum?
Diese Geschichte lässt mir keine Ruhe, wenn ich an unsere Zeit denke. Immer noch herrscht als oberste Regel der Wirtschaft: Sie muss wachsen! Immer größer, immer mehr! Die Scheunen abreißen, noch größere bauen! Noch größere Shopping-Cities, noch riesigere Flughäfen, und immer noch mehr von allem. Wann sind die Grenzen des Wachstums erreicht, von denen schon seit Jahren gesprochen wird? Wann wird in unserem Land so viel Boden verbaut sein, dass die landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr ausreichen? Weltweit werden jeden Tag (!) 96 Millionen Fass (zu je 159 Liter) Erdöl verbraucht, Tendenz steigend. Die „Verteilung“ von Armut und Reichtum auf der Welt geht immer mehr auseinander, auch wenn die Armut angeblich geringer wird.
Das Gleichnis von dem reichen Mann, der noch reicher werden will, erinnert erschreckend an unsere Zeit. Und doch geht es Jesus nicht darum, über seine oder unsere Zeit zu klagen. Das Evangelium ist keine gesellschaftspolitische oder wirtschaftlich-wissenschaftliche Analyse. Jesus will uns nicht entmutigen angesichts des Gefühls der Ohnmacht, das viele Menschen heute empfinden: Was können wir schon tun, um Klimawandel, Umweltzerstörung, weltweite Ungerechtigkeit zu ändern?
Jesus erinnert uns an ganz einfache Dinge, die dann wirksam werden, wenn wir sie persönlich in unserem Leben umzusetzen versuchen. Er warnt vor der Habgier, vor „jeder Art von Habgier“. Offensichtlich gibt es mehrere, viele Spielarten von Habgier. Die sichtbarste Art ist das Verlangen nach Besitz. Ist es in den Augen Jesu etwas Schlechtes, Besitz zu erwerben oder zu haben? Wie dankbar waren wir damals, als es fünfzehn Jahre nach der Flucht möglich wurde, ein Eigenheim zu bauen und zu besitzen, ein Haus zu haben, das uns gehört. Die Kirche hat – etwa gegen den Kommunismus – immer das Recht auf Privateigentum verteidigt.
Den Schlüssel für die Antwort liefert Jesus am Schluss des heutigen Evangeliums. Er nennt denjenigen einen Narren, „der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber bei Gott nicht reich ist“. Es ist eben unsinnig, nur an sich selber zu denken, denn einmal kommt der Tag oder die Nacht, in der „man dieses Leben von dir zurückfordern“ wird. Was hast du dann vom Überfluss an Besitz? Eigentum ist immer nur gesund, wenn es dient, nicht, wenn es uns beherrscht. Das gilt im Großen der extrem ungleichen Verteilung des Reichtums. Und das gilt im Kleinen unseres Alltags. Nur was wir teilen, macht uns reich bei Gott.
Einer aus der Volksmenge bat Jesus: Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen! Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler bei euch eingesetzt? Dann sagte er zu den Leuten: Gebt Acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier! Denn das Leben eines Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt. Und er erzählte ihnen folgendes Gleichnis: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte. Da überlegte er bei sich selbst: Was soll ich tun? Ich habe keinen Platz, wo ich meine Ernte unterbringen könnte. Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen. Dann werde ich zu meiner Seele sagen: Seele, nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freue dich! Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann das gehören, was du angehäuft hast? So geht es einem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber bei Gott nicht reich ist.
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