"Ist die Geschichte der Religionen nicht immer auch eine Geschichte der Religionskriege gewesen?", fragt Kardinal Christoph Schönborn.
"Ist die Geschichte der Religionen nicht immer auch eine Geschichte der Religionskriege gewesen?", fragt Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 18. August 2019 (Lukas 12,49-53)
Religion bringt Unfrieden! Immer mehr Menschen haben diesen Eindruck. Viele wenden sich von der Religion ab, weil sie ihr misstrauen. Ist die Geschichte der Religionen nicht immer auch eine Geschichte der Religionskriege gewesen? Und wenn es nicht Kriege waren, so doch endlose Konflikte, gegenseitige Ablehnungen, Ausgrenzungen, Aburteilungen. Mit Religion ist kein Frieden möglich, so sind viele überzeugt.
Diese Kritik richtet sich heute oft gegen den Islam. Ist er wirklich friedfertig? Gehört der „Heilige Krieg“ zu seinem Wesen? Kennt er die Toleranz für andere Religionen, andere Überzeugungen? Aber nicht nur der Islam wird kritisiert. In vielen Ländern erweisen sich auch andere Religionen als ausgesprochen unfriedlich. In Indien herrscht die Hindu-Partei, die alle anderen Religionen verdrängen möchte. Indien will ein reines Hindu-Land werden, wie Myanmar nach dem Willen der dort herrschenden Partei ein rein buddhistisches Land sein soll. Deshalb werden dort die Menschen verfolgt. Die Beispiele lassen sich leider fortsetzen. Sie werfen alle die Frage auf: Was ist los mit den Religionen, dass sie so viel Konfliktstoff beinhalten? Oder werden in allen diesen Fällen die Religionen für andere Zwecke instrumentalisiert? Geht es eher um politische Macht, um nationale Interessen? Wird die Religion dafür nur als Vorwand verwendet?
Wir Christen sagen dann gerne: Wenigstens das Christentum ist friedliebend! Und wenn man uns vorhält, dass auch die Christen viele Kriege geführt und Andersdenkende verfolgt haben, dann antworten wir gerne: Ja, das stimmt leider, aber Jesus hat ganz Anderes gewollt und gelehrt: Er war der Friedensstifter, der die Menschen mit Gott und untereinander versöhnen wollte.
Das heutige Evangelium klingt freilich ganz anders, zumindest beim ersten Hören: Jesus sei gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und nicht Frieden, sondern Spaltung zu bringen. Zeigt sich also doch, dass Religionen Unfrieden stiften? Eines ist für mich sicher: Das kann nicht der Sinn der Worte Jesu sein. „Feuer und Schwert“ waren nicht Jesu Weg. Das Feuer, das Jesus auf die Erde werfen will, ist sein Geist, der Menschen bewegt und „befeuert“: Der Heilige Geist, den die erste Gemeinschaft der Jünger Jesu zu Pfingsten erfahren haben und der sie „Feuer und Flamme“ sein ließ für den Weg, den Jesus ihnen gezeigt hat.
Warum aber redet Jesus von Spaltungen statt Frieden? Es geht wohl darum, dass Jesus uns nicht neutral lässt. Wer sich für ihn und seinen Weg entscheidet, wird auf Widerstand stoßen, meist sogar zuerst in der eigenen Familie. Denn wer Jesus nachfolgt, wer konsequent nach dem Evangelium zu leben versucht, wird, ohne dass er es will, zum Zeichen des Widerspruchs.
Ich schreibe diese Zeilen in meinem Urlaub in Frankreich. Ich bin diesem Land seit meiner Studienzeit in Paris innerlich sehr verbunden. Daher interessiert mich seit langem die religiöse Situation von Frankreich, die sich stark von der österreichischen unterscheidet. Wenn sich in Frankreich jemand zum christlichen Glauben bekennt, geschieht oft genau das, was Jesus beschreibt: Es kommt zu Spaltungen, die bisweilen mitten durch die Familien gehen. Gläubigsein wird sehr stark als eine klare Entscheidung erlebt, die Zwietracht und Widerstand hervorruft. Christsein ist hier nicht ein vages Allerlei.
Jesus ist gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen. Es ist das Feuer des Glaubens. Nicht um blinden Fanatismus geht es, auch nicht um sture Rechthaberei, sondern um den lebendigen Glauben, um die Herzensentscheidung, mit Jesus den Weg zu gehen. Jesus verschweigt uns nicht, wie sehr er sich danach sehnt, dass dieses Feuer brennt. Wie traurig, wenn in einem Land das Feuer des Glaubens erlischt.
Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Ich muss mit einer Taufe getauft werden und wie bin ich bedrängt, bis sie vollzogen ist. Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf der Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, sondern Spaltung. Denn von nun an werden fünf Menschen im gleichen Haus in Zwietracht leben: Drei werden gegen zwei stehen und zwei gegen drei; der Vater wird gegen den Sohn stehen und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen ihre Schwiegertochter die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.
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