"Wer groß sein will, indem er andere klein macht, wird nie echte Größe erreichen. Überheblichkeit ist ein Zeichen von persönlicher Niedrigkeit", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Wer groß sein will, indem er andere klein macht, wird nie echte Größe erreichen. Überheblichkeit ist ein Zeichen von persönlicher Niedrigkeit", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 1. September 2019 (Lukas 14,1.7-14).
Über das heutige Evangelium könnte man ganze Bücher schreiben, so viel enthält es. Das fängt schon mit den ersten Worten an. Jesus hat keine Berührungsängste. Er geht zu allen, und er nimmt gerne Einladungen zum Essen an, egal welcher Richtung und Gesellschaftsschicht die Gastgeber angehören: zu den ganz Frommen, den Pharisäern, und zu den ganz von den Frommen Verachteten, den Zöllnern. Und da Jesus inzwischen berühmt, aber sehr umstritten ist, wird er genau beobachtet. Freilich: Auch er beobachtet, was sich bei einem solchen Gastmahl abspielt.
Was Jesus da feststellt, ist wie ein Sittenbild der menschlichen Gesellschaft. Trotz allen technischen Fortschritts hat sich daran seit der Zeit Jesu überhaupt nichts geändert: das Gerangel um die Ehrenplätze! Manche Gastgeber kommen dem zuvor, indem sie die Sitzordnung beim Festmahl von vornherein festlegen. Wo freie Platzwahl ist, kann man das Gedränge um die besseren Plätze beobachten. Eitelkeit und Ehrgeiz kommen da oft unverhüllt zum Vorschein. Wichtig genommen werden und sich selber für wichtig halten, das ist nicht nur bei einem Festmahl üblich, es spielt in allen Lebensbereichen eine große Rolle.
Jesus benützt die Gelegenheit, einige sehr praktische Ratschläge zu geben. Der erste Rat klingt freilich wie ein billiger Trick: Such dir den niedrigsten, untersten Platz aus. Der Gastgeber wird dann zu dir kommen und sagen: Nicht doch, lieber Freund! Du gehörst auf einen Ehrenplatz! Komm, rücke höher!
Was aber, wenn du den hintersten Platz gewählt hast und der Gastgeber nicht kommt, um dich vor allen auf einen Ehrenplatz zu holen? Den letzten Platz zu wählen ist kein Trick, sondern eine bewusste Entscheidung. Denn irgendwann im Leben werden wir die Erfahrung machen, dass wir unten sind, hinten, nicht mehr in den vorderen Rängen.
Täglich hören oder lesen wir von Menschen, die in ihrem Leben einen tiefen Sturz erleiden, ob selbst verschuldet oder als Schicksalsschlag: Politiker, die von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche verschwinden; eine wirtschaftliche Pleite mit ihren schweren sozialen Folgen; ein Unfall, der das ganze Leben verändert. Jeden kann eine schwere Krankheit treffen, die einen aus allen gewohnten Zusammenhängen herausreißt und oft auch als Folge vereinsamen lässt. Und schließlich weist uns allen eines Tages die Todesstunde auf den letzten Platz.
„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Jesus spricht hier nicht gegen den gesunden Ehrgeiz, oder sagen wir besser: gegen den ehrlichen Wunsch, etwas gut und erfolgreich zu machen. Es geht immer um die Frage: Machst du etwas, um dich über andere zu erheben, oder machst du es, weil du es für gut und richtig hältst? Wer groß sein will, indem er andere klein macht, wird nie echte Größe erreichen. Überheblichkeit ist ein Zeichen von persönlicher Niedrigkeit.
Jesus gibt seinem Gastgeber eine einfache Regel, wie er zur echten menschlichen Größe finden kann: Prüfe dich selbst und frage dich, ob du gerne mit denen zusammen bist, die dir nichts zurückgeben können? Besuchst du gerne Kranke? Bleibst du auch sein Freund, wenn dein Freund arbeitslos ist? Hast du ehrlichen Kontakt mit Armen? Sie alle erinnern dich daran, dass du selber vor Gott ein Armer bist, und dass Gott dich gerade so liebt!
Und es geschah: Jesus kam an einem Sabbat in das Haus eines führenden Pharisäers zum Essen. Da beobachtete man ihn genau. Als er bemerkte, wie sich die Gäste die Ehrenplätze aussuchten, erzählte er ihnen ein Gleichnis. Er sagte zu ihnen: Wenn du von jemandem zu einer Hochzeit eingeladen bist, nimm nicht den Ehrenplatz ein! Denn es könnte ein anderer von ihm eingeladen sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem hier Platz! Du aber wärst beschämt und müsstest den untersten Platz einnehmen. Vielmehr, wenn du eingeladen bist, geh hin und nimm den untersten Platz ein, damit dein Gastgeber zu dir kommt und sagt: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Dann sagte er zu dem Gastgeber: Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich wieder ein und dir ist es vergolten. Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.
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