Was Jesus heute im Evangelium macht, ist die totale Anti-Werbung. Dennoch - er selber ist die überzeugendste Wahlwerbung.
Was Jesus heute im Evangelium macht, ist die totale Anti-Werbung. Dennoch - er selber ist die überzeugendste Wahlwerbung.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 8. September 2019 (Lk 14,25-33)
Zurzeit wird überall in unserem Land Wahlwerbung betrieben. Zwei Grundzüge bestimmen fast immer die Plakate und Reden der Parteien, die um die Gunst der Wähler werben: Wahlversprechungen und die Überzeugung, dass unsere Partei die bessere ist, unsere Kandidaten daher die richtige Wahl sind. Wie sollte es anders sein! Die ganze Welt der Werbung lebt davon, dass die beworbene Ware als ideal, großartig, beglückend dargestellt wird.
Was Jesus heute im Evangelium macht, ist die totale Anti-Werbung. Wer mit solchen Worten Anhänger gewinnen will, darf sich nicht wundern, dass sie ihm nicht in hellen Scharen zulaufen. Jesus stellt radikale Forderungen, statt verlockende Versprechungen zu machen: Wenn du mit mir gehen willst, musst du alles, aber auch wirklich alles hintanstellen, deine Familie, deine Liebsten, deinen ganzen Besitz. Und nicht nur das: Du musst zudem das Schrecklichste auf dich nehmen: das Kreuz! Für die damalige Zeit war das Kreuz nicht ein Schmuckstück, sondern die grausamste Form des Todesurteils. Sein Kreuz tragen, das war der Anblick, den man nur zu oft erlebte, wenn zum Tod Verurteilte den schweren Querbalken des Kreuzes selber zur Richtstätte tragen mussten, um dann, an ihm festgenagelt, auf den Längsbalken des Kreuzes gehängt zu werden.
Wieso bekennen sich trotz dieser ganz negativ klingenden „Werbung“ weltweit zwei Milliarden Menschen zum Christentum? Nehmen wir nicht ernst, was Jesus von seinen Gläubigen fordert? Geht Christsein im Alltag nur in abgemildeter Form? Eben so, wie die meisten von uns Christen leben, ein bisschen lau und locker, nicht ganz so streng wie es im Munde Jesu klingt? Oder ist es für viele deshalb nicht mehr anziehend, weil es so wenig glaubwürdig gelebt wird? Warum treten nach wie vor so viele Menschen aus den christlichen Kirchen aus? Liegt das an der Härte des Anspruchs Jesu? Oder an den Schwächen der Kirchen? Oder an der Interesselosigkeit unserer Zeit, der das Christentum nichts mehr sagt?
Es gibt aber auch eine andere Erfahrung: Wer wirklich sich auf den Weg Jesu einlässt, das Evangelium ganz zu leben versucht, wirkt auch heute glaubwürdig, überzeugend und für viele anziehend. Woran liegt das wohl? Ich denke dabei an Menschen, die mich durch ihr Leben beeindruckt und überzeugt haben. Und wenn ich mich frage, was mich an ihnen so stark angesprochen hat, dann finde ich genau das „Programm“ Jesu in ihrem Leben verwirklicht. Ich denke zum Beispiel an Bischof Erwin Kräutler, der jahrzehntelang im Amazonasgebiet von Brasilien mutig als Hirte und Beschützer der armen einheimischen Bevölkerung gewirkt hat. Er hat wirklich alles andere hintangestellt, hat seine Heimat Vorarlberg, seine Verwandten verlassen, hat viel Feindschaft, Bedrohung erlitten, hat mit den Menschen das Kreuz getragen. Eine Leidenschaft hat ihn bewegt: die Liebe Jesu zu den Ärmsten zu leben! Dafür war ihm kein Opfer zu schwer. Und wie viele Menschen gibt es, die wie Erwin Kräutler das Evangelium Jesu glaubwürdig leben! Jesus hat in seiner ungewöhnlichen „Wahlwerbung“ ehrlich gesagt, dass sein Weg nicht leicht und bequem ist. Er hat ihn aber selber vorgelebt. Er selber ist die überzeugendste Wahlwerbung.
Viele Menschen begleiteten Jesus; da wandte er sich an sie und sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben geringachtet, dann kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, der kann nicht mein Jünger sein. Denn wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertigstellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten
und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen. Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden. Ebenso kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.
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