So humorvoll Jesus diese Geschichte erzählt, so bitter ist die Wirklichkeit, die sich dahinter verbirgt.
So humorvoll Jesus diese Geschichte erzählt, so bitter ist die Wirklichkeit, die sich dahinter verbirgt.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 20. Oktober 2019 (Lk 18,1-8)
In diesem Titel steht kein Druckfehler. Es geht nicht um die lustige, sondern um eine lästige Witwe. Aber die Geschichte, die Jesus erzählt, hat durchaus eine humorvolle, lustige Seite. Jesus dürfte mit ihr einen sicheren Lacherfolg erzielt haben. Es ist die Geschichte von einer armen Witwe, die vom Richter in ihrem Rechtsstreit ihr Recht bekommen will. Der Richter wird freilich als ein übler Bursche geschildert, „der Gott nicht fürchtet und auf keinen Menschen Rücksicht nimmt“. Sie rennt ihm ständig die Tür ein, bittet und bettelt um ihr Recht, fordert es ein, freilich vergeblich. Doch sie lässt nicht locker, sie gibt nicht auf, so lange, bis es dem Richter zu lästig wird und er sie nicht länger abblitzen lässt.
Und hier kommt der sichere Lacherfolg. Denn der Richter sagt sich, dass ihm die Menschen zwar egal sind und dass er sich nicht um Gott kümmert. Aber die Witwe beginnt ihm mit ihrer Aufdringlichkeit gefährlich zu werden, „sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht“.
Ich gestehe, dass ich selber immer wieder diese Geschichte verwende, wenn jemand sehr drängend um etwas bittet und mir damit schon auf die Nerven geht. Oder umgekehrt, wenn ich selber der lästige Bittsteller bin, der immer wieder mit einer schon mehrmals abgelehnten Bitte kommt. So vergleiche ich mich selber, etwas humorvoll, mit dem bösen Richter oder mit der lästigen Witwe.
So humorvoll Jesus diese Geschichte erzählt, so bitter ist die Wirklichkeit, die sich dahinter verbirgt. Eine Witwe ohne Geld ist völlig hilflos in einem Land, in dem die Richter bestechlich sind, und das ist in vielen Teilen der Welt bis heute der Fall. Wer arm ist, sieht sich wehrlos einer korrupten Justiz ausgeliefert. Wer zahlen kann, bekommt vom Richter nicht das, was ihm vor dem Gesetz zusteht, sondern das, was er vom Richter gegen Geld bekommen möchte. Die Aufdringlichkeit einer armen Witwe erinnert an jene mutigen Frauen, die auch heute himmelschreiendem Unrecht widerstehen und oft unter Lebensgefahr ihr Recht einfordern. Die lustige Geschichte lässt einem das Lachen vergehen, wenn wir uns an die bittere Wirklichkeit erinnern, die dahintersteht.
Aber warum erzählt Jesus diese Geschichte? Er sagt „seinen Jüngern durch dieses Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollen“. Wenn Jesus vom Beten spricht, gebraucht er gerne Bilder von lästigen Menschen. So die Geschichte von einem Mann, der mitten in der Nacht seinen Freund und dessen ganze Familie aufweckt, nur um sich bei ihm Brot auszuborgen.
Nur nicht nachlassen im Beten! Das will Jesus mit der aufdringlichen Witwe sagen. Gott scheint es zu lieben, belästigt zu werden. Er ist nicht der hohe Herr, der für seine Untertanen unerreichbar ist und den man in seiner abgehobenen Ferne nicht stören darf. Und doch bleibt mir eine Frage zurück: Müssen wir wirklich „Tag und Nacht zu ihm schreien“, damit er uns hilft? Weiß er denn nicht, was wir brauchen, wo unsere Not ist? Muss ich sie Gott erst erklären, damit er sie versteht? Jesus selber hat doch gesagt: „Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht.“ Wozu also bitten und beten? Darauf finde ich nur eine Antwort: Beten heißt vertrauen. Vertrauen heißt glauben. Vertraue, glaube ich Gott? Dann darf ich ihn um alles bitten. Aber habe ich genug Vertrauen?
Jesus sagte ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange Zeit nicht. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?
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