Wir alle machen Fehler, größere, kleinere. Wenn wir nicht ganz abgebrüht sind, wenn wir ein halbwegs waches Gewissen haben, dann plagen uns die Fehler, die wir begehen.
Wir alle machen Fehler, größere, kleinere. Wenn wir nicht ganz abgebrüht sind, wenn wir ein halbwegs waches Gewissen haben, dann plagen uns die Fehler, die wir begehen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 27. Oktober 2019 (Lk 18,9-14)
Im Gefängnis gibt es Rangordnungen, so sagen mir die Gefangenenseelsorger. Nicht alle Verbrechen gelten als gleich schwer. Am tiefsten unten, am verachtetsten sind, so sagt man mir, die Kinderschänder. Ihr Verbrechen wird als besonders abscheulich gewertet. Ich habe mich oft gefragt, warum es diese Rangordnung gibt und was sie uns zeigt, was ich daraus lernen kann. Das heutige Evangelium gibt mir dazu den Schlüssel.
Wir alle machen Fehler, größere, kleinere. Wenn wir nicht ganz abgebrüht sind, wenn wir ein halbwegs waches Gewissen haben, dann plagen uns die Fehler, die wir begehen. Aber gleichzeitig ertappe ich mich dabei, dass ich mein Gewissen zu beruhigen versuche, indem ich mich mit anderen vergleiche. Mich reut dann vielleicht ein Fehler, aber zugleich kommt mir der Gedanke: Ganz so schlimm bin ich doch nicht! Die Fehler anderer Leute kommen mir in den Sinn, und zu meiner Erleichterung kann ich mir sagen: So schlecht wie der und der bin ich doch nicht!
Ich fürchte, dass diese Form der Selbstverteidigung sehr häufig ist. Ja, ich habe Fehler und ich mache Fehler! Aber deswegen bin ich noch lange nicht so furchtbar wie diese Verbrecher, die zu Recht im Gefängnis sitzen. Was ist so falsch an diesem ganz alltäglichen Gedanken?
Jesus wendet sich im heutigen Gleichnis an Menschen, „die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachten“. Und Jesus stellt damit uns allen die Frage: Gehörst du auch zu diesen Selbstgerechten? Verachtest auch du die anderen? Damit uns die Antwort ehrlich gelingt, erzählt er uns das Gleichnis von den zwei ungleichen Betern. Der eine ist ausgesprochen fromm, der andere gilt als öffentlicher Sünder. Warum kommt es zu einer völligen Umkehr der Verhältnisse? Der Sünder geht gerechtfertigt nach Hause, der Fromme nicht.
Beide beten. Was unterscheidet ihr Gebet? Der Fromme dankt Gott. Das ist doch etwas Gutes. Aber wie dankt er Gott? Eigentlich dankt er gar nicht Gott, sondern lobt sich selber: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen bin“. Er stellt sich nicht die Frage, warum er nicht so ist wie „die Räuber, Betrüger, Ehebrecher“. Dass er besser ist als alle diese Übeltäter, das schreibt er sich selber zu. Er ist selbstgerecht. Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass er vielleicht deshalb besser ist als die Verbrecher, weil er im Leben Glück gehabt hat. Wäre er in eine schwierige soziale Situation hineingeboren worden, in unglückliche Lebensumstände, dann hätte er einen ganz anderen Lebensweg gehabt. Statt Gott dafür zu danken, dass er ihn im Leben vor bösen Taten bewahrt und beschützt hat, schreibt er sich alles als sein eigenes Verdienst zu. Er führt zwar ein frommes Leben, betet und fastet, zahlt brav nicht nur ein Prozent seines Einkommens als „Kirchenbeitrag“, sondern sogar den Zehnt, also zehn Prozent. Aber in seiner ganzen Frömmigkeit steckt der Wurm der Selbstgerechtigkeit.
Der andere Beter hat nichts vorzuweisen außer seinem reuigen Gewissen. Er weiß, dass er als „Zöllner“, als Steuereintreiber, vielen Menschen geschadet, Arme ausgebeutet, Notleidende mit Geldforderungen bedrängt hat. Es plagt ihn, dass er so viel Schuld auf sich geladen hat. Er kann Gott nur um eines bitten: „Sei mir Sünder gnädig.“
Was folgt daraus? Verhalte ich mich wie der „Scheinheilige“, der „sich selbst erhöht“, indem er auf die anderen herunterschaut? Oder bin ich mir bewusst, dass ich selber ein armer Sünder bin, der Gott nur zu danken hat für seine große Barmherzigkeit?
Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Gleichnis: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause hinab, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
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