Votm Tempel, dem Bau des Herodes, blieb nur die Westmauer bestehen, die „Klagemauer“, der heilige Gebetsort der Juden.
Votm Tempel, dem Bau des Herodes, blieb nur die Westmauer bestehen, die „Klagemauer“, der heilige Gebetsort der Juden.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 17. November 2019 (Lk 21,5-19)
Dieses Wort Jesu tut weh: Es werde eine Zeit kommen, in der kein Stein auf dem anderen bleiben wird! Wenn ich aus meinem Fenster auf den Stephansdom blicke und dabei an dieses Wort Jesu denke, dann tut es mir weh. Aber zugleich weiß ich, dass Jesus die schlichte Wahrheit sagt. Damals in Jerusalem war der Tempel von staunenswerter Pracht. Es war noch gar nicht so lange her, dass Herodes den Tempel hatte ausbauen lassen, in einer Größe und Schönheit, die alles Bisherige übertraf. Herodes der Große, wie er genannt wird, war nicht nur ein blutiger Tyrann, sondern auch ein leidenschaftlicher Bauherr. Verständlich, dass viele den Tempel bewunderten, den er zu einem Wunderwerk der Architektur ausgestaltet hatte. Jesus selber liebte den Tempel. Er nannte ihn „das Haus meines Vaters“, wachte darüber, dass er „ein Haus des Gebetes“ blieb und nicht zu einer Markthalle verkam. Oft hat er im Tempel gebetet und gelehrt. Und doch kündigt er seine völlige Zerstörung an, die dann tatsächlich im Jahr 70 eintrat, als die römische Armee unter Titus Jerusalem einnahm und den Tempel bis auf die Grundmauern zerstörte. Vom Bau des Herodes blieb nur die Westmauer bestehen, die „Klagemauer“, der heilige Gebetsort der Juden.
Wenn ich auf unseren geliebten Stephansdom blicke, schmerzt mich dieses Wort Jesu, denn ich weiß, dass auch „der Steffl“ einmal nicht mehr sein wird. Wann wird das geschehen? Egal, ob das bald oder erst in tausenden Jahren eintreffen wird, sicher ist, dass nichts auf Erden ewig Bestand hat. Nicht nur der Tempel, der Dom, die Kathedralen sind vergänglich, sondern alles andere auch. Jesus spricht heute von der Endzeit, dem Ende aller Dinge.
Seit eh und je fragen wir Menschen: „Wann wird das geschehen?“ Viel wird von drohendem Unheil gesprochen, vom Klimawandel, von Naturkatastrophen. Täglich wird von Terror und Krieg berichtet. Wie damit umgehen? Jesus verharmlost nichts. Aber er verbreitet auch keine Panikmache: „Lasst euch nicht erschrecken!“ In unsicheren Zeiten haben alle möglichen Unheilspropheten Zulauf: „Lauft ihnen nicht nach!“
Was rät uns Jesus? Was hält, wenn alles ins Wanken gerät? Denn die kommenden Krisen können selbst die eigene Familie spalten: Feindschaft, Verfolgung, Ablehnung bis hin zum Hass. Jesus hat für die bevorstehenden Erschütterungen nur einen Rat, eine „Lösung“: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.“
Standhaft bleiben, sich nicht beirren lassen: Wie geht das? Zuerst durch das Treu-Sein in kleinen Dingen. Ankämpfen gegen die Nachlässigkeit. Sich nicht gehen lassen. Der eigenen Trägheit widerstehen. Nicht den eigenen Launen nachgeben. Das tägliche Sich-Überwinden, um freundlich und geduldig zu sein. Wir können nicht die großen Katastrophen verhindern, aber wir haben es in der Hand, die hausgemachten Katastrophen zu vermeiden, indem wir der Versuchung widerstehen, uns zu rächen, mit bösen Worten Unheil anzurichten.
Alles auf Erden ist vergänglich. Es wird leider immer wieder Kriege und Katastrophen geben. Aber die Standhaftigkeit im Guten liegt in unserer Hand. Wir können nur Gott bitten, im Glauben fest verankert zu bleiben, was immer auch kommen mag.
Als einige darüber sprachen, dass der Tempel mit schön bearbeiteten Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei, sagte Jesus: Es werden Tage kommen, an denen von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleibt, der nicht niedergerissen wird. Sie fragten ihn: Meister, wann wird das geschehen und was ist das Zeichen, dass dies geschehen soll? Er antwortete: Gebt Acht, dass man euch nicht irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es! und: Die Zeit ist da. - Lauft ihnen nicht nach! Wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, lasst euch nicht erschrecken! Denn das muss als Erstes geschehen; aber das Ende kommt noch nicht sofort. Dann sagte er zu ihnen: Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen. Aber bevor das alles geschieht, wird man Hand an euch legen und euch verfolgen. Man wird euch den Synagogen und den Gefängnissen ausliefern, vor Könige und Statthalter bringen um meines Namens willen. Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können. Nehmt euch also zu Herzen, nicht schon im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können. Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern und manche von euch wird man töten. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden. Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.
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