Prüfungen, die wie eine dunkle Nacht sind, gibt es in jedem Leben. Oft bedrängt dann die Frage: Wie kann Gott das zulassen?
Prüfungen, die wie eine dunkle Nacht sind, gibt es in jedem Leben. Oft bedrängt dann die Frage: Wie kann Gott das zulassen?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 15. Dezember 2019 (Mt 11,2-11).
Es gibt Prüfungen im Leben, die wie eine dunkle Nacht sind. Aller Halt scheint verloren, alle Sicherheiten lassen aus. War alles umsonst? War das Bemühen vergeblich? Eine große Täuschung? Eine Illusion? Alles deutet darauf hin, dass Johannes der Täufer durch eine solche Erfahrung gehen musste. Sein Weg ist schwer, sein Schicksal erschütternd. Man kann versuchen, sich in seine Lage zu versetzen, sich hineinzudenken in das, was sich in seinem Herzen abgespielt haben mag. Gelingen wird es kaum. Vielleicht schaffen wir es, eine Ahnung davon zu bekommen.
Johannes war in jungen Jahren in die Wüste gegangen, wahrscheinlich mit anderen Juden seiner Zeit, die ein strenges Gemeinschaftsleben führen wollten. Die Ausgrabungen von Qumran nahe dem Toten Meer zeugen von dieser Art Wüstenkloster. Dort dürfte Johannes einen besonderen Ruf gespürt haben, das baldige Kommen des von vielen erwarteten Messias anzukündigen. Er predigt Buße und Umkehr, und viele hören sein Rufen in der Wüste, ziehen zu ihm hinunter an den Jordan und lassen sich von ihm taufen zum Zeichen ihrer Bereitschaft, ihr Leben zu ändern.
Auch Jesus kam eines Tages zu Johannes und wollte sich von ihm taufen lassen. Johannes wehrte sich dagegen. Jesus soll ihn taufen, nicht umgekehrt. Denn für Johannes war eines klar: Jesus ist der verheißene Messias! Ihm wollte er den Weg bereiten, das war sein Auftrag, der Sinn seines Lebens.
Johanne lebte ein strenges, asketisches Leben. Streng war auch seine Predigt. Er scheute sich nicht, die Wahrheit zu sagen, auch wenn es gefährlich war. Dem König Herodes zu erklären, dass er nicht das Recht hat, seinem Bruder die Frau „auszuspannen“, war mutig. Johannes ist dafür ins Gefängnis gekommen. Und da, im Dunkel der Haft, hört er, wie Jesus wirkt und predigt. Da befallen ihn Zweifel, bohrende Fragen. Er hat sich wohl den Messias anders vorgestellt, wirksamer, entschiedener. Hat er vielleicht auch gehofft und erwartet, dass Jesus als mächtiger Messias ihn aus dem Gefängnis befreien werde?
„Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Diese Frage, die Johannes Jesus übermittelt, lässt die ganze Tiefe seiner Not ahnen: Habe ich mich geirrt, getäuscht, als ich dich als den Verheißenen, den Messias laut und deutlich überall angekündigt habe? Die Antwort Jesu überlässt es Johannes, sich selber ein Urteil zu bilden: „Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet.“ Das sind doch alles deutliche Zeichen, dass hier der Messias selber am Werk ist! Daher: „Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“
Was hat wohl Johannes gedacht, als ihm diese Antwort Jesu ins Gefängnis überbracht wurde? Hat er den Frieden des Herzens gefunden? Ist das Dunkel des Zweifels dem Licht des Vertrauens gewichen? Bald danach hat Herodes Johannes enthaupten lassen. Johannes hat damit das Schicksal Jesu vorweggenommen, der in den Kreuzestod gegangen ist.
Prüfungen, die wie eine dunkle Nacht sind, gibt es in jedem Leben. Oft bedrängt dann die Frage: Wie kann Gott das zulassen? Ist das noch der liebe Gott, der solches Leid geschehen lässt? Dann kann auch die Frage des Johannes auftauchen: Bist du es, oder sollen wir auf einen anderen warten und hoffen? Die Antwort Jesu an Johannes kann auch uns helfen: Schau auf all das Gute, das durch mich geschieht. Und erinnere dich daran: Auch ich habe zum Kreuz Ja gesagt.
Johannes hörte im Gefängnis von den Taten des Christus. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt. Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Siehe, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: sogar mehr als einen Propheten. Dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bahnen wird. Amen, ich sage euch: Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.
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