In jedem Neugeborenen wird der Anfang von allem gegenwärtig. Von ihm spricht Johannes in seinen feierlichen Worten: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“
In jedem Neugeborenen wird der Anfang von allem gegenwärtig. Von ihm spricht Johannes in seinen feierlichen Worten: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 5. Jänner 2020 (Joh 1,1-18)
Noch einmal wird heute der feierliche Beginn des Johannesevangeliums gelesen, wie am Christtag. Am Anfang des neuen Jahres, am ersten Sonntag des Jahres 2020, hören wir die Worte vom Anfang: „Im Anfang war das Wort.“ Niemand weiß, was das neue Jahr bringen wird, weder uns persönlich, noch unserem Land, ja unserer Welt. Und es ist gut so, dass wir uns bewusst bleiben: Die Zeit ist nicht in unseren Händen, sie ist uns geschenkt und uns anvertraut.
Hermann Hesse (1877-1962) sagt in seinem Gedicht „Stufen“: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“ Weihnachten hat seinen unvergleichlichen Zauber aus der Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem. Warum berührt Weihnachten mehr als alle anderen Feste? Ich glaube, es liegt an diesem Kind, an seiner armen Geburt. Jedes Neugeborene umgibt der Zauber des Anfangs: Ein neuer Mensch, ein neues Leben, das einmal beginnt und nie mehr endet.
In den Tagen meiner Erholung nach der neuerlichen Erkrankung bin ich meist am Nachmittag mit behutsamen Schritten spazieren gegangen. Mehrmals begegnete ich dabei einer jungen Mutter mit Kinderwagen. Ich sah nicht das Kind, gut eingepackt im Wagen liegend. Ich sah nur das Gesicht der Mutter. Sie hatte etwas Strahlendes, Leuchtendes, ganz Erfülltes. Ihr Blick war ganz dem Kind gewidmet. Für mich war es eine Ahnung der Weihnachtsfreude. Unwillkürlich musste ich an Maria und ihr Kind in der Krippe denken. Immer wieder ist es das Geheimnis des Anfangs, „der uns beschützt und der uns hilft zu leben“, wie Hermann Hesse sagt.
In jedem Neugeborenen wird der Anfang von allem gegenwärtig. Von ihm spricht Johannes in seinen feierlichen Worten: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ Im Anfang von allem steht nicht der Zufall, kein blindes Schicksal, kein Gott, der würfelt. Im Anfang ist das Wort, das selber Gott ist und das in Jesus Christus Fleisch angenommen hat und Mensch geworden ist.
Im Älterwerden wird mir bewusst, wie schnell die Generationen aufeinander folgen. Das Kind im Kinderwagen, auf das die junge Mutter mit leuchtendem Gesicht schaut, es wird bald schon erwachsen sein und die Mutter wird wohl Großmutter, und wieder kommen neue Generationen und die jetzigen vergehen. Was aber bleibt, ist das Wort, das im Anfang war, weil „in ihm das Leben war, und das Leben war das Licht der Menschen“. Jesus Christus, Gottes ewiger Sohn, ist der, „der ist, und der war, und der kommen wird“, wie die Offenbarung des Johannes sagt. Alles wandelt sich, er bleibt. Generationen vor uns haben auf ihn vertraut und an ihm Halt gefunden.
Jesus, Gott und Mensch, ist „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“. Jedes Licht, das uns aufgeht, kommt von ihm, dem wir alles verdanken. Und wenn ich an das innere Leuchten auf dem Gesicht dieser jungen Mutter denke, dann erahne ich, dass dieses Licht von dem kommt, der von sich sagen konnte: „Ich bin das Licht der Welt.“
Beim Weitergehen bewegte mich die Frage: Was wird aus diesem Kind? Es gibt nicht nur den Zauber des Anfangs, sondern die Mühen des Weges. Und die Finsternis. Es gibt das Nein der Welt gegen das Licht. Wird die Finsternis siegen? Wird der Zauber des Anfangs in einen Schrecken des Endes münden? Dagegen steht das starke Trostwort des heutigen Evangeliums: „Aus seiner, aus Jesu Fülle, haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“ Damit können wir getrost ins neue Jahr gehen!
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. Johannes legt Zeugnis für ihn ab und ruft: Dieser war es, über den ich gesagt habe: Er, der nach mir kommt, ist mir voraus, weil er vor mir war. Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.