Christus, das Lamm Gottes! So nennt der Priester Jesus, wenn er den Gläubigen die Hostie zeigt und dabei die Worte spricht, die Johannes damals am Jordan gebrauchte, als er Jesus auf sich zukommen sah.
Christus, das Lamm Gottes! So nennt der Priester Jesus, wenn er den Gläubigen die Hostie zeigt und dabei die Worte spricht, die Johannes damals am Jordan gebrauchte, als er Jesus auf sich zukommen sah.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 19. Jänner 2020 (Joh 1,29-34)
Was haben sich wohl die Leute gedacht, als sie Johannes den Täufer dieses rätselhafte Wort sagen hörten: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“? Viele kamen von überall her, um sich von Johannes im Jordan taufen zu lassen. Sie hörten seinen Aufruf zur Umkehr. Er kündete von einem, der da kommen wird, von einem Retter, einem Befreier, und alle verstanden, dass er von der großen Hoffnung seines Volkes sprach, vom verheißenen Messias.
Wer dieser Erlöser sein wird, wie er kommen und was er tun wird, darüber gab es die unterschiedlichsten Vorstellungen. Aber die meisten erwarteten sich von ihm vor allem eines: die Befreiung von der römischen Besatzung. Es war nicht nur eine politische Hoffnung, endlich wieder die Eigenständigkeit zu erlangen, das Joch der Fremdherrschaft abzuwerfen. Es war auch eine stark religiöse Hoffnung. Der Messias wird den Glauben erneuern, die Frömmigkeit wird aufblühen, Gottes verheißener Frieden wird herrschen. Es wird ein goldenes Zeitalter für das Volk Gottes anbrechen.
Auch Jesus kommt zu Johannes an den Jordan. Johannes sagt zu den Leuten: „Auch ich kannte ihn nicht.“ Wie ist das zu verstehen? Johannes war doch ein naher Verwandter Jesu, gerade sechs Monate älter als er. Ich glaube, Johannes wollte sagen: Wer mein Cousin wirklich ist, das wusste ich bisher nicht, auch wenn wir uns von Kindheit an kennen. Jetzt aber hat mir Gott gezeigt, wer Jesus ist. Und das drückt Johannes durch ein Wort aus, das den Christen gut vertraut ist, damals aber wohl sehr überrascht hat: „Seht, das Lamm Gottes.“
In jeder Messe, in jeder Eucharistiefeier kommt dieses Wort mehrmals vor. Es gibt davon wunderbare Vertonungen, wie etwa Mozarts „Agnus Dei“ aus der Krönungsmesse. Christus, das Lamm Gottes! So nennt der Priester Jesus, wenn er den Gläubigen die Hostie zeigt und dabei die Worte spricht, die Johannes damals am Jordan gebrauchte, als er Jesus auf sich zukommen sah: „Seht, das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt.“
Aber was bedeutet diese Bezeichnung für Jesus? Was sagt sie über ihn? Können wir ahnen, was die Menschen damals darunter verstanden, als Johannes Jesus so nannte? Es gibt eine Stelle im Alten Testament, beim Propheten Jesaja, an die Johannes wohl gedacht haben muss, als er Jesus „das Lamm Gottes“ nannte. Es ist das „Lied vom Gottesknecht“, von jener geheimnisvollen Gestalt, die einmal kommen und alle Schuld der Menschen auf sich laden und „hinwegnehmen“ wird. Von ihm sagt der Prophet, er sei „wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt“. Und weiter: „Er trug die Sünden von Vielen.“
Hat Johannes geahnt, dass Jesus nicht der große politische Befreier sein wird, den viele sich vom Messias erhofften? Seinen Sieg wird er nicht durch Waffen erringen, sondern durch das Opfer seines Lebens am Kreuz. Jesus wurde zu der Zeit gekreuzigt, als im Tempel in Jerusalem die Lämmer für das jüdische Osterfest geschlachtet wurden.
Wie geht es uns, wenn wir den Gesang des „Agnus Dei“, die Worte „Seht, das Lamm Gottes“ hören? Kann besser und tiefer gesagt werden, wer Jesus wirklich war? Hat deshalb Mozart das „Agnus Dei“ mit solch unvergleichlich schöner Zartheit komponiert?
Am Tag darauf sah er Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt! Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird. Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.