Es gibt Begegnungen, die ein Leben verändern.
Es gibt Begegnungen, die ein Leben verändern.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 15. März 2020 (Johannesevangelium 4,5-18.28-30.40-42)
Es gibt Begegnungen, die ein Leben verändern. Wer auf sein Leben zurückblickt, wird wahrscheinlich selber einige nennen können. Von einer solchen Begegnung spricht heute das Evangelium. Den Namen der Frau erfahren wir nicht, aber wir ahnen ein wenig vom Drama ihres Lebens. Es beginnt mit einer Zeitangabe. „Es war um die sechste Stunde“, also zu Mittag. Warum kommt eine Frau in der Mittagshitze zum Brunnen, um Wasser zu schöpfen? Normalerweise gehen die Frauen (sie müssen diese Arbeit machen, nicht die Männer!) zum Brunnen, wenn es noch oder wieder kühl ist, in der Früh oder am Abend. Da treffen sie sich, da wird geredet, ausgetauscht und übereinander getratscht.
Als sie zur Mittagsstunde zum Brunnen kommt, sind keine Frauen dort, aber ein Mann, ein Jude, also für sie ein „Ausländer“. Sie ist überrascht, dass er, ein Mann, sie anspricht und noch dazu sie um Wasser bittet. Es entspinnt sich ein Gespräch. Rätselhafte Worte spricht der Fremde: „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht…“ Von einem „lebendigen Wasser“ redet er, das er geben werde. Wer davon trinkt, werde niemals mehr Durst haben. Er könne ein Wasser geben, das ins ewige Leben fließt. Sie bittet ihn daraufhin: „Gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe“. Für sie hätte das ganz praktische Folgen: Sie müsste nicht mehr täglich hierher zum Brunnen kommen.
Warum das für sie so eine Erleichterung wäre, verstehen wir im weiteren Verlauf dieses Gesprächs. Denn plötzlich kommt Jesus mit einem Wort, das wie ein Befehl klingt: „Geh, ruf deinen Mann!“ Ihre Antwort ist knapp: „Ich habe keinen Mann!“ Jesus bestätigt das: „Fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann.“
Mich erschüttert das Wort dieser Frau: Ich habe keinen Mann! Sie hat Durst nach Liebe und Geborgenheit. Von einer Beziehung zur anderen war es immer dasselbe: Keiner hat sich als ihr Mann verhalten. Keine der vielen Begegnungen ist zu einer echten Beziehung geworden. Hat sie es nicht geschafft zu lieben? Ist sie nur gebraucht, aber nie geliebt worden? Am Ende steht eine tiefe Einsamkeit: Ich habe keinen Mann!
Doch diese Begegnung am Jakobsbrunnen verändert ihr Leben. Sie, die im ganzen Ort wegen ihrer Männergeschichten verachtet war, die es deshalb vermied, mit den anderen Frauen am Brunnen zusammenzukommen, sie eilt in den Ort zurück und erzählt von dem Mann, der ihr alles gesagt hat, was sie getan hat. Sie holt alle zu Jesus und alle entdecken in diesem Juden den, der auch ihnen Heilung und Heil bringt.
Wir wissen nicht, wie das Leben der Frau weiterging. Eines ist sicher: Diese Begegnung hat ihr Leben bleibend verändert. Was sie in ihren Beziehungen vergeblich gesucht hatte, hat sie jetzt gefunden: Sie hat sich von Jesus zutiefst angenommen gewusst.