Jesus befreit von den Binden, die oft uns Lebende fesseln, wie sie den toten Lazarus umwickelt hatten.
Jesus befreit von den Binden, die oft uns Lebende fesseln, wie sie den toten Lazarus umwickelt hatten.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 29. März 2020 (Joh 11, 1-7.17.20-27.33b-45)
Keiner entkommt dem Tod, keiner den Vorboten des Todes, der Krankheit. Wenn es alle trifft, ist es nichts Besonderes. Und doch ist es immer wieder etwas Einmaliges, denn es betrifft stets einen bestimmten Menschen mit einer eigenen, unverwechselbaren Geschichte, einem eigenen Kreis von Menschen, die Familie, die Freunde. Deshalb sind Krankheit und Tod nie einfach nur ein unvermeidliches Naturereignis wie die Jahreszeiten, das Wachsen und Sterben von allem, was lebt.
Krank geworden ist ein Freund Jesu, Lazarus. Jesus erfährt davon durch dessen beide Schwestern, Marta und Maria. Alle drei sind enge Freunde Jesu. Sie gehörten nicht zu denen, die mit Jesus unterwegs waren, sein Wanderleben teilten. Sie waren für ihn ein ruhender Pol. Sooft Jesus nach Jerusalem kam, stieg er bei ihnen in ihrem Haus in Bethanien ab, und offensichtlich fühlte er sich bei ihnen wohl, wie man das nur bei sehr vertrauten Freunden erlebt.
Als Jesus von der Krankheit seines Freundes hört, bricht er nicht gleich auf, um ihn zu besuchen. Er lässt sich Zeit und die kostbare Zeit verstreicht. Als er schließlich nach Bethanien kommt, ist Lazarus tot. Marta empfängt ihn mit einem leisen Vorwurf: Warum bist du nicht schneller gekommen?
Damit sind wir bei der Frage, die tausende Male gestellt wurde: Warum musste er, musste sie sterben? Krankheiten sind doch heilbar. Warum enden sie immer wieder mit dem Tod? "Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben." Uns begegnet die Frage immer neu: Wenn Gott da ist, warum lässt er den Tod zu? Marta glaubt, wie viele Menschen heute, dass der geliebte Verstorbene auferstehen wird. Sie glaubt an das ewige Leben. Aber warum musste er jetzt schon sterben? Lazarus war ja noch kein alter Mann. Er war, wie man so sagt, in den besten Jahren.
Jesus selber findet sich nicht einfach ab mit dem Tod seines Freundes. Er will zum Grab. Seine Tränen sind für die anderen ein Zeichen, "wie lieb er ihn hatte". Aber damit nicht genug: „Nehmt den Stein von der Grabhöhle weg!“ Dann sein lauter Ruf: "Lazarus, komm heraus!" Und der seit vier Tagen Tote kommt heraus.
Was hilft uns dieses Wunder, wenn unsere geliebten Toten dennoch im Grab bleiben? Damals kamen viele zum Glauben an Jesus. Das geschieht auch heute. Der Glaube an Jesus macht lebendig! Denn er ist "die Auferstehung und das Leben". Er befreit von den Binden, die oft uns Lebende fesseln, wie sie den toten Lazarus umwickelt hatten. Diese Befreiung kann schon mitten im Leben geschehen, wie eine Art Totenerweckung!
In jener Zeit sandten die Schwestern des Lazarus Jesus die Nachricht: Herr, dein Freund ist krank. Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes: Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. Denn Jesus liebte Marta, ihre Schwester und Lazarus. Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus. Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag. Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.
Jesus war im Innersten erregt und erschüttert. Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh! Da weinte Jesus. Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb? Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt, und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, entgegnete ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast. Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden, und lasst ihn weggehen! Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.
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