Pestsäule am Wiener Graben - normalerweise beginnt hier die Palmsonntagsprozession.
Pestsäule am Wiener Graben - normalerweise beginnt hier die Palmsonntagsprozession.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Palmsonntag, 5. April 2020 (Mt 21,1-11)
Wer hätte gedacht, dass wir Ostern in diesem Jahr unter ganz anderen Vorzeichen feiern werden? Heute sollte ich am Graben, am Fuß der Dreifaltigkeitssäule, die Palmkatzerln segnen, mit denen wir dann in großer Prozession auf den Stephansplatz und in den Dom gezogen wären. Keine Kinder mit Zweigerln, keine Menschenschar, die mit mir den Anfang der Karwoche feiert, in freudiger Erwartung des Osterfestes.
Stattdessen ein menschenleerer Stephansplatz. Nur einige Kerzen und Öllichter brennen am Fuß der großen Dreifaltigkeitssäule, die ja auch eine Pestsäule ist. Kaiser Leopold I. ließ sie errichten zum Dank für das Ende der großen Pestepidemie des Jahres 1679, der 80.000 Menschen zum Opfer fielen. Die Kerzen, die dort brennen, die berührenden Kinderzeichnungen und Bittgebete sind ein spontaner Ausdruck der Sorge, aber auch des Vertrauens: "Schütze uns vor dem Coronavirus" und ähnliche Bitten liegen hier zu Füßen der Darstellung des dreifaltigen Gottes. So werden wohl auch damals viele Menschen gebetet haben, in der Hoffnung, dass die Seuche sie verschont und dass die Pest ein Ende findet.
Mit der Bitte um ein Ende der weltweiten Corona-Epidemie beginnen wir auch die Karwoche, die heuer so ganz anders aussehen wird. Ich werde heute, so Gott will, im kleinsten Kreis die Liturgie des Palmsonntags im Stephansdom feiern. Dank dem ORF wird der Gottesdienst live übertragen. Es ist für uns alle eine ganz neue Herausforderung. Ein Gedanke hilft mir, in dieser so außergewöhnlichen Situation einen Sinn zu finden. Heute feiern wir den freudigen Einzug Jesu in Jerusalem. Seine Jünger sind voll Erwartung. Es ist kurz vor dem jüdischen Osterfest. Und im Judentum war damals die Überzeugung verbreitet, der Messias werde sich am Osterfest in Jerusalem offenbaren.
Als Jesus einen Esel besteigt und so in Jerusalem einzieht, deuten seine Jünger dies als ein Zeichen, das die Propheten vorausgesagt hatten: Genauso werde er kommen, als König, aber sanftmütig, nicht hoch zu Ross, sondern bescheiden auf einer Eselin. In ihrer Begeisterung rufen die Jünger mit der immer größer werdenden Menschenmenge Jesus zu: "Hosanna dem Sohn Davids!" Die ganze Stadt gerät in Aufregung und fragt, wer dieser Jesus wohl ist.
Doch es kam ganz anders... Einige Tage später sind völlig andere Töne zu hören. Jesus zeigt sich nicht als der erhoffte mächtige Befreier. Im Gegenteil. Er wird verhaftet, gerichtet und vom römischen Statthalter Pontius Pilatus zum Kreuzestod verurteilt. Der, den viele schon als künftigen König gesehen haben, stirbt am Kreuz. Über ihm ist eine Tafel angebracht, auf der in drei Sprachen wie zum Spott zu lesen steht: „Jesus von Nazareth, König der Juden.“ So also endet der Traum vom Messias Jesus von Nazareth.
Doch es kam noch einmal ganz anders. Am dritten Tag nach seiner Beerdigung finden Frauen sein Grab leer. Nach großem Schrecken kommt die noch größere Freude: Er lebt! Sie begegnen ihm. Von jetzt an wissen sie: Er ist wirklich der Messias, der Christus, und er wird uns nie alleine lassen... Ja, es kommt ganz anders, weil Jesus auferstanden ist und lebt!
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