Ist sie so liebenswert, diese unsere Welt? Ist sie nicht in einem bedrohlichen Zustand?
Ist sie so liebenswert, diese unsere Welt? Ist sie nicht in einem bedrohlichen Zustand?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 7. Juni 2020 (Joh 3,16-18)
Was für ein gewaltiges Wort! „Gott hat die Welt so sehr geliebt…“ Gibt es ein größeres, schöneres Wort über unsere Welt? Aber gleich stellt sich dem kritischen Geist die Frage: Ist diese unsere Welt wirklich so liebenswert? Und wenn sie es ist, woran merkt man, dass sie tatsächlich von Gott so total und bedingungslos geliebt wird?
Jesus hat dieses Wort in einem Nachtgespräch gesagt. Ein führender Mann unter den Juden, ein Pharisäer namens Nikodemus, kam eines Nachts zu Jesus, um mit ihm zu reden. Er hatte den Eindruck, dass Gott in besonderer Weise mit Jesus war. So spricht er Jesus an: „Rabbi, wir wissen, du bist von Gott gekommen.“ Nikodemus ist ganz offen, er will Jesus besser kennenlernen. Jesus überrascht ihn mit dem, was er ihm sagt: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Wiedergeboren werden, wie soll das gehen? Jesus meint nicht eine Rückkehr in den Mutterschoß, sondern ein neues Leben, das über den Tod hinausreicht, eine Geburt zum ewigen Leben.
In diesem Zusammenhang sagt Jesus das erstaunliche Wort: „Gott hat die Welt so sehr geliebt…“ Nocheinmal die Frage: Ist sie so liebenswert, diese unsere Welt? Ist sie nicht in einem bedrohlichen Zustand? Vor fünf Jahren (am 24. Mai 2015) hat Papst Franziskus seine große Umweltenzyklika „Laudato si“ veröffentlicht. Sie beginnt mit den Worten des Sonnengesangs des hl. Franziskus von Assisi: „Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.“ Doch gleich darauf folgen dramatische Worte von Papst Franziskus: „Diese Schwester schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr zufügen aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter, die Gott in sie hineingelegt hat.“
Liebenswert und lobenswert ist diese Welt. So sieht sie der Heilige von Assisi. Bedroht und bemitleidenswert sieht sie der Papst in ihrem jetzigen Zustand. Er hört den Aufschrei der Erde, weil er mit vielen von uns weiß, dass sie leidet, und weil wir beginnen zu spüren, dass das auch uns Schaden und Leid zufügt. Vielleicht sind wir durch die gegenwärtige weltweite Corona-Krise besser in der Lage, die Worte Jesu an Nikodemus zu verstehen. Denn Jesus spricht von einem Rettungsplan Gottes für diese Welt. Gott schaut nicht tatenlos und ohnmächtig zu, wie die Welt zugrunde geht. Er setzt alles ein, um sie zu bewahren: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“
Wie kostbar die Welt für Gott ist, kann nur ahnen, wer glaubt, dass Jesus selber die große Gabe ist, die Gott für die Welt und ihre Rettung einsetzt. „Wie sollte er uns mit ihm, Jesus, nicht alles schenken?“, fragt Paulus einmal. Damit das noch deutlicher wird, sagt Jesus zu Nikodemus: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“
Nicht richten, sondern retten! Das ist die Kernbotschaft Jesu. Sie enthält zwei Aussagen: Es gibt viel zu richten an dieser Welt und an der Art, wie wir mit ihr umgehen. Der Klimawandel hat wohl auch damit zu tun, wie wir die Welt behandeln. Vieles ist nicht richtig und verdient gerichtet zu werden. Aber genau das ist nicht Gottes Weg: nicht uns unsere Fehler vorrechnen, nicht mit unseren Sünden abrechnen, sondern aufrichten und retten. Die Liebe Gottes zu dieser Welt, also auch zu uns, ist größer als alles menschliche Versagen. Das zu glauben, darauf zu vertrauen, gibt alle Kraft und Energie, sich wie Gott für diese Welt einzusetzen. Es stimmt, wir sind nur Gast auf Erden, unterwegs zum ewigen Leben. Das ist aber kein Grund, Gottes vielgeliebte Welt verwüstet zu hinterlassen.
In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodemus: Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat.
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