Jesus hat um sich Menschen gesammelt. Deshalb hat es unter ihnen stets sehr "gemenschelt". Immer aber gab es auch die andere Seite: dass Menschen sich vom Mitleid, vom Mitgefühl Jesu erfassen ließen.
Jesus hat um sich Menschen gesammelt. Deshalb hat es unter ihnen stets sehr "gemenschelt". Immer aber gab es auch die andere Seite: dass Menschen sich vom Mitleid, vom Mitgefühl Jesu erfassen ließen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 14. Juni 2020 (Mt 9,36-10,8)
Jesus ist ja ganz in Ordnung! Aber sein Bodenpersonal! Wie oft habe ich solche Aussagen gehört! Und meist muss ich sagen: Ich kann das verstehen! Viele meinen: Jesus ja - Kirche nein! Aber wie hat Jesus das selber gewollt? War es sein Plan, sein Wille, dass aus seinem Wirken so etwas wie die Kirche entsteht? Ist das, was aus seiner Bewegung geworden ist, heute noch das, was er damals gewollt hat? Seit eh und je wird über diese Frage diskutiert. Ist seine Sache nicht schon bald von seinen Anhängern verfälscht, ja verraten worden? Das heutige Evangelium hilft, darauf eine Antwort zu finden.
Alles beginnt mit dem schlichten Wort Mitleid: "Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft." Die Not der vielen Menschen, denen Jesus begegnet, bewegt und erschüttert ihn. Sie lässt ihn nicht neutral. Er sieht die Not und übersieht sie nicht. Das griechische Wort, das der Evangelist hier gebraucht, bedeutet wörtlich: Jesus ist bis in seine Eingeweide, also bis in den Sitz der tiefsten Gefühle berührt. Das hebräische Wort, das dahinter steht, meint auch den Mutterschoß: Mitleid als mütterliches Empfinden.
Wollen wir Jesus verstehen, dann müssen wir versuchen, sein Mitgefühl mit aller Menschennot zu spüren. Und da die Not groß ist, damals wie heute, weiß Jesus, dass er andere Menschen mit seinem Mitgefühl "anstecken" muss, damit die Not gelindert wird. Denn eines ist gleich klargeworden im Verhalten Jesu: Sein Mitgefühl drängt ihn zum Tun. Er klagt nicht nur über das Leid der Welt. Er will etwas ändern. Daher sucht er Menschen, die bereit sind, mit ihm zu arbeiten.
"Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter." Die Not ist groß. Aber viel zu wenige sind bereit, sie zu lindern. Deshalb die Aufforderung Jesu: "Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden." Von Anfang an hat Jesus Mitarbeiter gesucht. Und tatsächlich haben sich ihm schon sehr bald Männer und Frauen angeschlossen, die sein Wirken unterstützten wollten und die bereit waren, von ihm zu lernen. So entstand schnell eine wachsende Gemeinschaft um ihn.
Noch etwas ist für Jesu Plan wichtig: Aus der großen Schar seiner Anhänger hat er einen besonderen Kreis ausgewählt, ganz bewusst zwölf Männer. Damit wollte Jesus deutlich machen, dass er das "Haus Israel", sein Volk, erneuern wollte, das ursprünglich aus zwölf Stämmen bestand, den Nachkommen der zwölf Söhne Jakobs. Seine zwölf Apostel sendet Jesus deshalb zuerst "zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel". Erst später wird Jesus sie auch in alle Welt aussenden. Und tatsächlich sind die Zwölf nach Pfingsten in die ganze Welt gegangen, um überall das Reich Gottes, das Evangelium zu verkünden. Sie waren damit erfolgreich. Jesu Lehre, seine um ihn gesammelte Gemeinschaft hat sich erstaunlich schnell weltweit verbreitet.
Zurück zur Anfangsfrage: Ist das, was sich heute Kirche, Christentum nennt, wirklich das, was Jesus ganz am Anfang wollte? Ich würde behutsam sagen: Ja und nein! Jesus hat um sich Menschen gesammelt. Deshalb hat es unter ihnen stets sehr "gemenschelt". Immer aber gab es auch die andere Seite: dass Menschen sich vom Mitleid, vom Mitgefühl Jesu erfassen ließen. Dann leuchtet spürbar und überzeugend auf, was Jesus wollte und immer noch will.
In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden! Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen. Die Namen der zwölf Apostel sind: an erster Stelle Simon, genannt Petrus, und sein Bruder Andreas, dann Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und sein Bruder Johannes, Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus, Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn ausgeliefert hat. Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht den Weg zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.
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