Jesus, das Brot des Lebens.
Jesus, das Brot des Lebens.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, zu Fronleichnam, Donnerstag, 11. Juni 2020 (Johannes 6, 51–58).
Fronleichnam ist heuer anders, wie so vieles. Über uns allen steht wie eine große Wolke die Sorge, ob und wie ein "Neustart" nach Corona gelingen wird. Da mag das heutige Fest ein wenig zum Nachdenken, aber auch zum Hoffnungschöpfen helfen. Im Mittelpunkt steht das Brot. Ein Stück Brot, eine weiße Oblate, wird gefeiert, verehrt, besungen. Wo es mit aller Vorsicht möglich ist, wird dieses Brot auch in Prozessionen feierlich durch die Straßen getragen. Zwar sagt der Glaube, dieses Brot sei durch die Wandlung zum Leib Christi geworden. Trotzdem ist es zuerst einmal ein Stück Brot. Und Brot ist ein Grundnahrungsmittel, das "tägliche Brot", um das wir Gott bitten sollen, um leben zu können.
Wo das Brot zu fehlen anfängt, steht der Hunger vor der Tür. Gott sei Dank mussten wir das seit Jahrzehnten bei uns nie erleben. Die Corona-Krise hat uns schlagartig bewusst gemacht, dass sich die Lage ändern kann. Nichts ist selbstverständlich, auch nicht das tägliche Brot. Was, wenn der Regen ausbleibt? Wenn Trockenheit und Dürre das Brotgetreide nicht gedeihen lassen? Am Anfang der Krise in Syrien, die zu diesem nicht enden wollenden Krieg geführt hat, stand eine lang anhaltende Dürreperiode. Wenn der Brotpreis unerschwinglich wird, gehen die Menschen aus Verzweiflung auf die Straße.
Es geht nicht um Angstmache. Dankbarkeit ist die Antwort. "Mit dem Danken bekommt das Leben eine neue Qualität. ... Wer zu danken beginnt, befreit sich und andere aus dem Teufelskreis von Neid und Gier. Dankbare Menschen sind befreit von der Angst, zu kurz zu kommen", so haben wir Bischöfe im Hirtenbrief zum Pfingstfest geschrieben (www.bischofskonferenz.at). Fronleichnam ist zuerst ein Fest der Dankbarkeit für die kostbare Gabe des täglichen Brotes.
Jesus hat immer wieder mit den Menschen das Brot geteilt, manchmal auf wunderbare Weise, etwa wenn er mit nur fünf Broten Fünftausend gesättigt hat. Meistens hat er mit anderen einfach Mahl gehalten und so Gemeinschaft gelebt. "Brich dem Hungrigen dein Brot", heißt es in der Bibel. Zum Fronleichnamsfest gehört nicht nur das beliebte Brauchtum, sondern auch die Bereitschaft, mit denen zu teilen, die nicht das Nötigste haben, das tägliche Brot. Andernfalls verkommt dieses schöne Fest zur bloßen Folklore.
"Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt", heißt es anderswo in der Bibel. Was hilft es, wenn die Bäckerläden von Brot übergehen, die Menschen aber nach Verstehen und Liebe hungern? Wir haben bei uns fast niemanden, der leiblich hungern muss. Seelische Hungersnot gibt es reichlich, meist verborgen, viel zu oft unbemerkt. Fronleichnam feiert dieses andere Brot, das wir mindestens so sehr zum Leben brauchen wie die leibliche Nahrung. Es ist nicht etwas, sondern Jemand. Corona hat viele erleben lassen, wie sehr wir auf Menschen angewiesen sind, und dass alle materiellen Güter nicht die Nähe anderer ersetzen können.
"Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben". Das kleine weiße Stück Brot, die Hostie, die zu Fronleichnam mit Prozessionen und Liedern verehrt wird, ist Jemand. Es ist das Brot, das zum Leib Christi geworden ist. Es ist Jesus selber, verhüllt in der bescheidenen Gestalt von Brot. Es ist Jesus mit Fleisch und Blut, als Brot für das Leben der Welt, er selber als Lebensmittel auf unserem Lebensweg. Kann man das jemals verstehen? Kommt der Verstand da mit? Aber muss ich im Leben alles begreifen? Ist es nicht einfach schön, zu vertrauen, dass Jesu Wort stimmt?
In jener Zeit sprach Jesus zu der Menge: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt. Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben. Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Es ist nicht wie das Brot, das die Väter gegessen haben, sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.
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