Gottes Barmherzigkeit mir gegenüber ist unfassbar groß. Da sind die Fehler, die ich anderen zu verzeihen habe, vergleichsweise kleine Fische.
Gottes Barmherzigkeit mir gegenüber ist unfassbar groß. Da sind die Fehler, die ich anderen zu verzeihen habe, vergleichsweise kleine Fische.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 13. September 2020.
Aktueller könnte das Gleichnis Jesu nicht sein. Von Schulden und Schuldnern ist die Rede, von Riesenschulden, von kleinen Schulden und vom Umgang damit. Die Medien sind voll von Berichten über Schuldenskandale. Von einem deutschen Finanzdienstleister ist die Rede, der mit mehreren Milliarden Schulden in die Insolvenz ging. Von einer österreichischen Bank ist viel zu hören, die mit Zig-Millionen Schulden pleite ist.
Ähnliches hat es wohl schon zur Zeit Jesu gegeben. Wenn er Gleichnisse erzählt, dann sind oft Tagesereignisse der Hintergrund.
Zwei sehr unterschiedliche Schuldner müssen Rechenschaft ablegen. Der eine schuldet dem König zehntausend Talente. Ein anderer schuldet seinem schwer verschuldeten Kollegen hundert Denare. Die erste Summe ist astronomisch, die zweite eher harmlos. Zehntausend Talente, das ist eine unvorstellbare Größenordnung. Ein Talent waren etwa vierzig Kilo Silber. Vierhundert Tonnen Silber schuldet dieser Mann. Damals war der Silberpreis viel höher als heute. Das sind etwa 300 Millionen Euro nach heutigem Wert. Wie kam der Mann zu solchen Schulden? Was musste er alles verzockt haben! Und wen musste er alles ruiniert haben, da eine Rückzahlung der Schulden völlig ausgeschlossen war! Das klingt alles sehr aktuell. Traurig aktuell ist auch sein Verhalten dem Kollegen gegenüber, der ihm bescheidene 100 Denare schuldet, also etwa drei Monatslöhne eines einfachen Arbeiters. Die großen Fische können es sich oft richten, die kleinen Fische kommen ordentlich dran. Denn der König lässt den Riesenschuldner frei. Der eben Freigelassene ist seinem Kollegen gegenüber beinhart.
Jesus zeichnet ein Sittenbild seiner Zeit, die nicht viel anders ist als unsere. Thema ist die ewige Frage des rechten Umgangs miteinander. Und dazu gehört auch immer das heikle Thema Verzeihen. Petrus stellt Jesus die Frage, wie oft wir einander vergeben müssen. Er findet, dass "bis zu siebenmal" schon eine sehr großherzige Haltung wäre. Jesu Antwort sprengt alle Maße: siebzigmal siebenmal, also endlos und immer wieder. Eigentlich heißt das: immer!
Vor dieser maßlosen Forderung bekommt die Geschichte, die Jesus erzählt, ihren Sinn. Der Riesenschuldner fleht den König an: "Hab Geduld mit mir! Ich werde alles zurückzahlen." Tatsächlich bewegt diese Bitte den König zu einem unfassbar großzügigen Schritt. Er erlässt ihm die gesamte Schuld und lässt ihn straffrei gehen.
"Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen." So fleht der Kollege den eben Begnadigten an. Der aber zeigt keinerlei Erbarmen und lässt ihm keinen Cent seiner Schuld nach. Im Gegenteil, er lässt ihn ins Gefängnis werfen. Er verweigert die Geduld, die hier ein Leichtes gewesen wäre.
Das Gleichnis Jesu hat zwei Ebenen: das Verhältnis zwischen uns Menschen und unser Verhältnis zu Gott. Zuerst geht es um die einfache tägliche Frage: Bin ich den anderen gegenüber so wohlwollend und mitfühlend, wie ich es für mich erwarte, wenn ich in Not bin? "Hättest du nicht Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?" Erbarmungslos ist das Gericht mit dem, der kein Erbarmen zeigt, heißt es einmal in der Bibel.
Das setzt freilich voraus, dass ich selber erfahren habe: Gott hat mir viel mehr vergeben, als was ich anderen jemals zu verzeihen habe. Gottes Barmherzigkeit mir gegenüber ist unfassbar groß. Da sind die Fehler, die ich anderen zu verzeihen habe, vergleichsweise kleine Fische.
In jener Zeit trat Petrus zu Jesus und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er gegen mich sündigt? Bis zu siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Ich sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal. Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Knechten Rechenschaft zu verlangen. Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war. Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen. Da fiel der Knecht vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen. Der Herr des Knechtes hatte Mitleid, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld. Als nun der Knecht hinausging, traf er einen Mitknecht, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und sagte: Bezahl, was du schuldig bist! Da fiel der Mitknecht vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe. Als die Mitknechte das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war. Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich angefleht hast. Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte? Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Peinigern, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. Ebenso wird mein himmlischer Vater euch behandeln, wenn nicht jeder seinem Bruder von Herzen vergibt.