Die große Kluft zwischen Reden und Tun ist immer schmerzlich. Sie tut weh in der Ehe und Partnerschaft, in der Politik und Öffentlichkeit. Am traurigsten ist sie, wenn frommen Worten lieblose Taten folgen.
Die große Kluft zwischen Reden und Tun ist immer schmerzlich. Sie tut weh in der Ehe und Partnerschaft, in der Politik und Öffentlichkeit. Am traurigsten ist sie, wenn frommen Worten lieblose Taten folgen.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 27. September 2020 (Matthäus 21,28-32).
Die größte Kluft in unserem Leben besteht meistens zwischen unseren Worten und dem, was wir wirklich tun. Es ist leicht, etwas zu versprechen. Es dann auch zu halten, ist viel schwieriger. Das kleine Gleichnis Jesu vom Vater und seinen beiden Söhnen bringt das kurz und bündig auf den Punkt. Beide bittet er, heute im Weinberg zu arbeiten. Der eine sagt unmissverständlich, dass er nicht will. Der zweite sagt sofort Ja. Den einen reut sein Nein und deshalb geht er doch arbeiten. Der andere hält sein Wort nicht und tut nicht, was er zugesagt hat. Nicht der Ja-Sager hat den Willen des Vaters erfüllt, sondern der, der die Arbeit tatsächlich getan hat, auch wenn er anfangs gar nicht wollte.
Mir fallen gleich eine Menge von Situationen ein, auf die dieses Gleichnis passt, auch aus meinem eigenen Leben. Wie oft habe ich spontan etwas zugesagt, es dann aber nicht halten wollen oder können. Und wie oft habe ich mich zuerst gegen eine Bitte gewehrt, dann aber hat mir mein Nein leidgetan und ich habe es dann doch gemacht. Nicht nur im Kleinen trifft Jesu Gleichnis so oft zu, sondern auch im Großen: Alle reden vom Klimaschutz. Aber wenn es um das ganz praktische Handeln geht, um das Umsetzen der Klimaziele, wird alles mühsam und schleppend. Alle reden von Frieden. Aber der Waffenhandel blüht wie nie zuvor.
Wo bleibt die echte Abrüstung? Und Gott sei Dank gibt es auch, im Kleinen wie im Großen, die umgekehrte Situation. Da gibt es einen unversöhnlichen Konflikt, ein striktes Nein zur Versöhnung. Und dann geschieht doch das Wunder, dass es die Gegner reut und sie einander die Hand reichen. Und manche Leugner des Klimawandels kommen zur Einsicht, dass wir doch etwas tun müssen, dringend. So ist das Gleichnis Jesu ganz lebensnah, und alle können wir unser Gewissen prüfen, ob wir nur bei Worten bleiben oder die Dinge wirklich tun.
Jesus hat dieses Gleichnis freilich nicht nur als allgemeine Lebensweisheit gelehrt. Er hat es in einer ganz bestimmten Situation gesprochen. Das macht er mit einem sehr provokanten Wort deutlich. Den obersten religiösen Autoritäten seines Volkes wirft er es an den Kopf: „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Den offiziellen Religionsvertretern sagt er, dass die Sünder bei Gott mehr Chancen haben als sie. Und er begründet das mit einem Faktum: Johannes der Täufer hat das Volk zur Buße und Umkehr aufgerufen. Sie, die „Frommen“, haben sich nicht berühren lassen, haben ihr Leben nicht geändert. Sie hielten sich ja für gut und gerecht. Die „Sünder“, deren Leben wirklich nicht in Ordnung war, ließen sich von Johannes zur Reue und Umkehr bewegen. Jesus hält ihnen damit vor: Ihr sagt „Ja, Ja“ zu Gott, ihr redet fromm, aber euer Herz ist stolz und verschlossen. Die „Sünder“, die ihr verachtet, haben ihr Nein zu Gottes Willen bereut und sind zu Ihm zurückgekehrt.
Die große Kluft zwischen Reden und Tun ist immer schmerzlich. Sie tut weh in der Ehe und Partnerschaft, in der Politik und Öffentlichkeit. Am traurigsten ist sie, wenn frommen Worten lieblose Taten folgen.
Was meint ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Kind, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn und er ging hinaus. Da wandte er sich an den zweiten und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ja, Herr - und ging nicht hin. Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt? Sie antworteten: Der erste. Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, ich sage euch: Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr. Denn Johannes ist zu euch gekommen auf dem Weg der Gerechtigkeit und ihr habt ihm nicht geglaubt; aber die Zöllner und die Dirnen haben ihm geglaubt. Ihr habt es gesehen und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt.