"Wir haben geglaubt, die Welt in Besitz nehmen zu können, indem wir sie bis zum Äußersten ausbeuten. Die Folgen werden uns schmerzlich bewusst", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Wir haben geglaubt, die Welt in Besitz nehmen zu können, indem wir sie bis zum Äußersten ausbeuten. Die Folgen werden uns schmerzlich bewusst", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 4. Oktober 2020 (Matthäus 21,33-44).
Wieder ist vom Weinberg die Rede, von der Weinlese, vom Ertrag und von der Pacht, passend zur jetzigen Jahreszeit. Jesus hat den Wein geschätzt und in der Tradition seines, des jüdischen Volkes, ihn zu den festlichen Anlässen getrunken. Er hat den Wein, zusammen mit dem Brot, sogar zur Mitte der von ihm gestifteten Feier gemacht, die alle Generationen der Christen zu seinem Gedächtnis begehen. Keine Eucharistie, keine heilige Messe ohne Brot und Wein.
Jesus spricht heute im Gleichnis von einem Weinberg, den ein Gutsbesitzer anlegt und verpachtet. Allen Zuhörern ist klar, wovon die Rede ist. Die Propheten vor ihm haben es schon gesagt: „Der Weinberg des Herrn … ist das Haus Israel“, lesen wir beim Propheten Jesaja. Schon damals, Jahrhunderte vor Jesus, war das Bild vom Weinberg Ausdruck dessen, was Gott für sein Volk getan hat. Er ist der Weinbergbesitzer. Wir sind (nur) die Pächter. Liefern wir auch den angemessenen Pachtzins ab?
Spätestens hier wird klar, dass Jesus dieses Gleichnis nicht nur für die damalige Situation gedacht hat, für das jüdische Volk und seine höchsten Religionsvertreter. Die Frage, die Jesus ihnen durch das Weinberggleichnis stellt, ist bis heute dieselbe geblieben. Schon die erste Seite der Bibel erinnert an eine Grundwahrheit: Wir sind nicht die Herren der Schöpfung. Gott der Schöpfer hat sie uns anvertraut, wie der Besitzer des Weinbergs diesen den Pächtern übergeben hat. Heute, in Coronazeiten, werden wir schmerzlich daran erinnert, dass die Welt nicht uns gehört. Sie ist uns (nur) anvertraut.
Was erwartet der Weinbergbesitzer von seinen Pächtern? Dass der Weinberg Ertrag bringt und dass die Pächter Frucht abliefern. „Warum hoffte ich, dass er Trauben brächte? Und er brachte nur faule Beeren“ – so steht die Klage Gottes schon beim Propheten Jesaja.
Frucht bringen! Was macht es, dass ein Leben, eine Gemeinschaft, ein Land gute Früchte bringt? Im Grunde sehr einfach: Alles, was zum Glück und Wohlergehen anderer beiträgt! Trauen wir uns, es auszusprechen? Der Apostel Paulus tut es: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht.“ Das klingt vielleicht recht altmodisch und hausbacken. Aber was macht eine Gesellschaft lebenswert, wenn nicht eben diese Haltungen?
Wie eine Welt aussieht, in der diese Haltungen mit Füßen getreten werden, zeigt Jesus im Weinberggleichnis. Die Pächter benehmen sich wie eine brutale Räuberbande. Statt die Frucht als Pachtzins abzuliefern, prügeln und morden sie die, die die Frucht abholen sollen. Sogar den Sohn des Besitzers töten sie: „Auf, wir wollen ihn umbringen, damit wir sein Erbe in Besitz nehmen“. Mich erschreckt dieses Wort. Es spiegelt die tiefe Krise, in der die Welt heute steckt und die uns durch die Pandemie neu vor Augen geführt wird: Wir haben geglaubt, die Welt in Besitz nehmen zu können, indem wir sie bis zum Äußersten ausbeuten. Die Folgen werden uns schmerzlich bewusst.
Heute erscheint das neue Schreiben von Papst Franziskus, in dem er, wie Franziskus von Assisi, zu einer Haltung der Geschwisterlichkeit, aufruft. Es ist die Umkehr, zu der Jesus, der Sohn Gottes, uns mit dem heutigen Gleichnis einlädt. Noch ist es nicht zu spät.
Hört noch ein anderes Gleichnis: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land. Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seine Früchte holen zu lassen. Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, wieder einen anderen steinigten sie. Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso. Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn umbringen, damit wir sein Erbe in Besitz nehmen. Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um. Wenn nun der Herr des Weinbergs kommt: Was wird er mit jenen Winzern tun? Sie sagten zu ihm: Er wird diese bösen Menschen vernichten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist. Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; vom Herrn ist das geschehen und es ist wunderbar in unseren Augen? Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die Früchte des Reiches Gottes bringt. Und wer auf diesen Stein fällt, wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen.