Der Prophet verkündet aber noch einen größeren Trost: „In der Wüste bahnt den Weg des Herrn.“ Gott selber wird kommen! „Sag den Städten in Juda: Siehe, da ist euer Gott.“
Der Prophet verkündet aber noch einen größeren Trost: „In der Wüste bahnt den Weg des Herrn.“ Gott selber wird kommen! „Sag den Städten in Juda: Siehe, da ist euer Gott.“
Gedanken zum Lesung, von Kardinal Christoph Schönborn, am 2. Adventsonntag, 6. Dezember 2020 (Jesaja 40,1-5.9-11).
So beginnt die Lesung aus dem Propheten Jesaja, die am heutigen 2. Adventsonntag vorgetragen wird. Georg Friedrich Händel hat diese Worte an den Anfang seines „Messias“ gestellt: „Comfort ye, comfort ye my people.“ Wie tröstlich sind die Worte des Jesaja, wie berührend die Vertonung Händels. Trostlos war die Zeit, in der der jüdische Prophet so zu sprechen wagte. Schwierig war damals auch Händels persönliche Situation. In einer tiefen Lebenskrise bricht wie ein Strom aus ihm seine wohl berühmteste Komposition, sein „Messias“ (1741) hervor: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“ Und wie viel Trost haben die Worte des Propheten und deren Vertonung durch Händel Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen geschenkt!
Aber wen spricht denn da Gott durch den Propheten an? Wer soll getröstet werden? „Redet Jerusalem zu Herzen“, heißt es weiter. Jerusalem soll getröstet werden. Genauer: das Volk von Jerusalem. Denn es ist nicht mehr in Jerusalem. Es lebt in der Verbannung, weggeschleppt nach Babylon, als besitzlose Fremde, als Kriegsbeute, im Frondienst, wie Sklaven, rechtlos wie die vielen Heimatvertriebenen in unseren Tagen. Und wie so viele, die ihre Heimat verlassen mussten, sehnen sie sich nach der Heimat, träumen von Jerusalem, malen sich aus, wie das sein könnte, wenn der Tag der Heimkehr kommt.
Beim Lesen dieser so hoffnungsvollen Worte des Propheten muss ich an meine eigene Familie denken. Meine Kindheit und Jugend war erfüllt von den Erzählungen der Älteren, wie es zu Hause war. Obwohl ich erst viel später die alte Heimat in Tschechien kennengelernt habe, war mir vieles in meiner Vorstellung lebendig, das Haus der Großeltern, das Leben am Land, damals, vor dem Krieg, vor der Vertreibung. Hatte die Erinnerung nicht manches verklärt, was im Alltag vielleicht gar nicht so ideal war? Aber in den Erinnerungen fanden die Älteren doch auch Trost.
Von welchem Trost spricht der Prophet? Was macht überhaupt echten Trost aus? Denn Vertrösten heißt eigentlich Spott treiben mit der Trauer der anderen. Billiger Trost richtet nicht auf, wird als beleidigend, ja verletzend empfunden. Es gibt wohl kaum etwas Tröstlicheres als eine echte Versöhnung, wenn man nach einem schmerzlichen Konflikt einander wieder von Herzen gut ist und neu zueinander findet. Das verkündet der Prophet den Verbannten in Babylon: Ihr habt genug gebüßt für eure Schuld. Gott ist euch ganz und gar von Herzen gut. Und das große Zeichen dafür wird eure Heimkehr nach Jerusalem sein, das Ende des Exils.
Tatsächlich konnten dann bald einige nach Juda zurückkehren. Jerusalem und der Tempel wurden wieder aufgebaut. Aber viele blieben weiter in der Diaspora. Die Sehnsucht nach dem verheißenen Land lebte freilich über alle Jahrhunderte im Judentum weiter, bis heute.
Der Prophet verkündet aber noch einen größeren Trost: „In der Wüste bahnt den Weg des Herrn.“ Gott selber wird kommen! „Sag den Städten in Juda: Siehe, da ist euer Gott.“ Ich denke da an die Erfahrung meiner Familie. Es war uns nicht geschenkt, in die alte Heimat zurückzukehren. Die Tschechoslowakei wurde kommunistisch und niemand wollte dorthin. Im Gegenteil, viele flüchteten vor dem sowjetischen Regime. Aber eines habe ich bei nicht wenigen Heimatvertriebenen erlebt: Sie haben entdeckt, dass sie im Glauben eine Heimat haben, die ihnen keine irdische Vertreibung nehmen kann. Das Aufbauen eines neuen Lebens nach dem Verlust von allem Bisherigen war nicht leicht. Aber der Trost, den der Glaube ihnen gegeben hat, war stärker. Sie haben erfahren, was vor 2.500 Jahren der Prophet von Gott gesagt hat: „Wie ein Hirt weidet er seine Herde.“ In diesem Corona-geprägten Advent ist das ein Trost, der durch die nun schon allzulange Krise trägt.
Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet Jerusalem zu Herzen und ruft ihr zu, dass sie vollendet hat ihren Frondienst, dass gesühnt ist ihre Schuld, dass sie empfangen hat aus der Hand des Herrn Doppeltes für all ihre Sünden! Eine Stimme ruft: In der Wüste bahnt den Weg des Herrn, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, und was hüglig ist, werde eben. Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, alles Fleisch wird sie sehen. Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen. Steig auf einen hohen Berg, Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! Sag den Städten in Juda: Siehe, da ist euer Gott. Siehe, Gott, der Herr, kommt mit Macht, er herrscht mit starkem Arm. Siehe, sein Lohn ist mit ihm und sein Ertrag geht vor ihm her. Wie ein Hirt weidet er seine Herde, auf seinem Arm sammelt er die Lämmer, an seiner Brust trägt er sie, die Mutterschafe führt er behutsam.
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