"Weihnachten ist Gottes großes Wagnis. Er hat sich auf uns Menschen so weit eingelassen, dass er selber Mensch wurde. Das ist der Sinn von Weihnachten", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Weihnachten ist Gottes großes Wagnis. Er hat sich auf uns Menschen so weit eingelassen, dass er selber Mensch wurde. Das ist der Sinn von Weihnachten", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Christtag, Freitag, 25. Dezember 2020 (Johannes 1,1-5.9-14).
Es ist immer ein Wagnis, sich auf einen anderen Menschen einzulassen. Zwei Menschen verlieben sich. Sie gehen eine Beziehung ein, gehen aus sich heraus, lassen sich vom anderen berühre, prägen, verändern. Es ist ein Risiko, denn hier begegnen einander zwei Freiheiten. Beziehung, Freundschaft, Liebe können nur gelingen, wenn beide wollen und zustimmen. Wenn einer der beiden versucht, den anderen zu bestimmen, zu beherrschen, dann stirbt die Liebe. Sie lebt vom freien ja beider zueinander. Sie setzt gegenseitiges Vertrauen voraus, und dieses muss sich immer neu bewähren. Wie schön, wenn echte gegenseitige Achtung gelingt. Das ist Liebe, die trägt und hält.
Weihnachten ist Gottes großes Wagnis. Er hat sich auf uns Menschen so weit eingelassen, dass er selber Mensch wurde. Das ist der Sinn von Weihnachten. Dieser Gedanke begleitet mich schon durch den ganzen Advent. Ich möchte versuchen, ihn am heutigen Christtag in den Mittelpunkt zu stellen. Wir feiern heuer Weihnachten unter ganz ungewohnten Bedingungen, mit starken Einschränkungen, die uns der Kampf gegen die Corona-Pandemie auferlegt.
Vielleicht ist es auch eine Chance, den Sinn von Weihnachten tiefer zu erfassen.
Das Festtagsevangelium spricht vom ersten großen Wagnis Gottes: Gott hat die Welt aus Liebe erschaffen. Aber haben wir Menschen diese Welt als Sein Geschenk angenommen? Gott hat uns Menschen das kostbarste Geschenk anvertraut: die Freiheit! Er geht das Risiko ein, dass wir sie gut gebrauchen oder missbrauchen. Er vertraut uns Seine Schöpfung an. Wie antworten wir auf dieses Vertrauen? „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Die Schöpfung ist Gottes erste Sprache. Hören wir sie? Lassen wir uns von ihr ansprechen? Haben wir die Achtsamkeit auf Gottes Spuren in der Natur verlernt? Je älter ich werde, umso größer wird mein Staunen über das Geheimnis des Lebens, aller Lebewesen, der ganzen Schöpfung, im Kleinsten wie im Großen: „Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist“, heißt es im heutigen Evangelium des Johannes, des Lieblingsjüngers Jesu.
In Jesus von Nazareth sieht Johannes nicht nur den Menschen, sondern das ewige Wort, das immer bei Gott war und selber Gott ist. Er ahnt, dass in Seinem Wort Gott immer schon in der Welt da ist und wirkt. Und er sieht, dass wir Menschen oft blind sind für die Gegenwart Gottes in Seiner Schöpfung. Daher das schmerzliche Wort: „Die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.“ Noch trauriger: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Hat Gott sich verkalkuliert? Ist die Beziehung, auf die Er sich eingelassen hat, gescheitert? Er hat seinem Geschöpf die Freiheit geschenkt, aber wir haben nicht auf Sein Angebot geantwortet.
Da ist Gott ein noch größeres Wagnis eingegangen. Und dieses Wagnis ist das Geheimnis von Weihnachten. Johannes spricht es aus in dem Satz, der das Unfassbare zu sagen versucht: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Gott ist Mensch geworden, geboren als Kind wie jeder von uns. Gott will uns Menschen nicht zwingen. Die Liebe verträgt keinen Zwang. Sie spricht das Herz an und sucht die Antwort des Herzens. Dieses große Wagnis ist Gott eingegangen. Die Liebe macht wehrlos. Sie verzichtet auf Gewalt. Gott kommt zu uns nicht nur durch die Sprache seiner Schöpfung, sondern als das kleine Kind im Stall von Bethlehem. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab“, sagt Johannes einmal. Für mich bedeutet Weihnachten: Trotz aller Enttäuschungen bleibt nur das Wagnis der Liebe erfolgreich!
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.
Gedanken zum Evangelium von Kardinal Christoph Schönborn