„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“
„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 3. Jänner 2021 (Johannes 1,1-18)
Am Anfang des Neuen Jahres steht ein ganz großer Text der Bibel: der Prolog des Johannesevangeliums. Er beginnt mit den feierlichen Worten: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ Was ist „das Wort“? Im Griechischen steht hier „Logos“. Das bedeutet sicher zuerst das gesprochene oder das gedachte Wort. Wer Schwierigkeiten mit dem Reden hat, geht zu einem Logopäden, einem Spezialisten für Sprachtherapie. Logos bezeichnet aber auch die Vernunft, den Sinn. Logik ist die richtige Ordnung der Gedanken. Unlogisch reden oder handeln macht keinen Sinn. Will Johannes also sagen: „Im Anfang war die Vernunft, der Sinn“?
Stimmt das? Ist nicht vielmehr alles Zufall? Das blinde Spiel einer endlosen Kette von Zufällen? Ist die Welt nicht so entstanden? Und wird sie weiterhin von den Launen des Zufalls beherrscht? Am Anfang des Neuen Jahres steht diese feierliche Ansage: Im Anfang war der Sinn! Hat die Welt einen Sinn? Und das Leben? Mein Leben? Und wie ist es mit dem vielen Leid? Hat es auch einen Sinn? Kann man das ernsthaft behaupten angesichts von so viel sinnloser Grausamkeit in der Natur und unter uns Menschen?
Am Anfang dieses Jahres setzen viele weltweit große Hoffnung auf die Entwicklung von wirksamen Impfstoffen, um die Covid-Pandemie zu beenden. Ich teile diese Hoffnung und bin beeindruckt, wie die Wissenschaftler in aller Welt in so kurzer Zeit es schaffen konnten, Impfstoffe zu produzieren. Hinter dieser Leistung steht intensive Forschung. Seit langem bewegt mich die Frage, warum wir die Natur erforschen und Entdeckungen über ihr Funktionieren machen können. Unser ganzes modernes Leben ist geprägt von wissenschaftlichem Forschen und dessen praktischer Umsetzung in unseren Alltag. Selten stellen wir uns die Frage, warum das möglich ist. Ich bin überzeugt: Die Forscher, die das Covid-Virus untersuchen und Heilmittel dagegen entwickeln, können das, weil die Natur eine Ordnung hat, nach Gesetzen funktioniert, die der Mensch erforschen, entschlüsseln kann. Diese Gesetze hat der Mensch nicht selber gemacht. Sie sind vorgegeben, aber wir können dank unserer Vernunft ihren Sinn herausfinden.
Die Natur ist wunderbar geordnet, auch wenn vieles scheinbar zufällig abläuft. „Alles ist durch das Wort, den Sinn geworden, und ohne es, ohne ihn wurde nichts, was geworden ist.“ Für mich ist die Coronakrise und der Kampf gegen sie ein beeindruckender Hinweis auf die Wahrheit, dass der Schöpfer uns den Verstand gegeben hat, um mit Seiner Schöpfung sinnvoll umzugehen.
Der Johannes-Prolog spricht aber auch die dunkle Seite an, den oft erschütternden, tragischen Un-Sinn, den wir in Gottes Schöpfung hineintragen: „Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Wir sind oft wie verblendet. Die Schöpfung spricht zu uns, aber wir hören nicht auf sie. Statt sie zu achten, betreiben wir sinnlose Zerstörung.
Deshalb hat der Schöpfer einen Schritt getan, der weit über die Natur und ihre Gesetze hinausgeht: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Der Sinn ist nicht nur in der Natur verborgen und kann von uns entdeckt und bewundert werden. Der Sinn ist sichtbar geworden in einem Menschen, in Jesus Christus. Er ist „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“. Er ist der Lehrer des Weges zum Leben. „Gnade und Wahrheit kamen durch Jesus Christus.“ Am Anfang des Neuen Jahres dürfen wir nicht nur auf ein Ende der Pandemie hoffen, sondern vor allem auf den, der den Weg zum Sinn des Lebens zeigen kann. Wir werden ihn dringend brauchen!
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. Johannes legt Zeugnis für ihn ab und ruft: Dieser war es, über den ich gesagt habe: Er, der nach mir kommt, ist mir voraus, weil er vor mir war. Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.