"Vielleicht wollte Jesus durch seine heftige Aktion im Tempel in Jerusalem vor allem darauf aufmerksam machen, dass jeder Mensch ein Tempel Gottes ist, ein Heiligtum, in dem Gott selber gegenwärtig ist", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Vielleicht wollte Jesus durch seine heftige Aktion im Tempel in Jerusalem vor allem darauf aufmerksam machen, dass jeder Mensch ein Tempel Gottes ist, ein Heiligtum, in dem Gott selber gegenwärtig ist", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 7. März 2021 (Johannes 2, 13-25).
Jesus – gewalttätig? Es ist die einzige Szene im Evangelium, in der man Jesus gewalttätig sieht. Er ist wie jedes Jahr als Pilger zum Osterfest nach Jerusalem hinaufgezogen. Er begibt sich in den Tempel. Da packt ihn der Zorn, als er all die Geschäftemacherei im Heiligtum sieht. Die Händler, die Geldwechsler, sie alle treibt er mit Geißelhieben aus dem Tempel hinaus. Tempelreinigung! „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“
War Jesus doch ein Revolutionär? War er doch nicht der sanfte, gütige Lehrer der Gewaltlosigkeit? An Gewalt hat es nicht gefehlt in der langen Geschichte des Christentums. Hat Jesus mit seiner Gewaltaktion im Tempel zu Jerusalem ein schlechtes Vorbild gegeben? Vorsicht! Schauen wir nüchtern auf das, was Jesus tatsächlich getan hat.
So wie heute in Jerusalem an den hohen Festen das israelische Militär streng alles bewacht, damit es zu keinen Unruhen kommt, so kontrollierte damals die römische Besatzungsarmee ganz genau die Menge der Pilger, da gerade zum Osterfest immer wieder Aufstände gegen die Römer ausbrachen. Hätte Jesus einen größeren Aufruhr gestartet, die römische Armee wäre sofort zur Stelle gewesen. Es konnte sich nur um eine symbolische Aktion handeln. Er hat auch nicht seine Begleiter aufgestachelt, gewalttätig zu werden. Seine einzige „Waffe“ war „eine Geißel aus Stricken“. Da ist kein Blut geflossen, keine Menschen wurden verletzt. Gewiss, harmlos war das alles nicht. Aber der Anfang einer Revolution sieht anders aus.
Und doch geht es um eine Revolution. Um eine Reinigung des Tempels, aber nicht mehr des prachtvollen Tempels in Jerusalem. Jesus hat vorhergesagt, dass von ihm „kein Stein auf dem anderen“ bleiben wird. Nein, Jesus „meinte den Tempel seines Leibes“. Die Revolution Jesu war die Ehrfurcht vor dem Leib, vor dem Menschen und seiner Würde. Der Tempel ist zu heilig, um zur Markthalle zu verkommen. Der Zorn Jesu gilt der Geschäftemacherei im Heiligtum. Deshalb bleibt die Tempelreinigung, die Jesus damals symbolisch vornahm, eine Mahnung für alle Zeiten. „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“ Aber noch mehr erinnert sie uns daran, dass jeder Mensch ein Tempel Gottes ist und nicht dem Geld und dem Geschäft unterworfen werden darf.
Mich berührt es immer, wenn bei einer Beerdigung über den Leichnam des Verstorbenen gesagt wird. „Dein Leib war Gottes Tempel.“ Daran sollen wir uns nicht erst am Friedhof erinnern. Bei meinem Freund Pfarrer Peter Mathei habe ich eine Meditation gelesen, die ich gerne weitergebe. Sie legt Jesus folgende Worte in den Mund: „Ich bin da, wo Menschen leben; ich bin in dem alten Mann, der um seine Frau trauert; ich bin in der Freude des jungen Paares, das ein Kind erwartet. Ich bin in der schweren Krankheit des jungen Menschen; in den Schmerzen der alten Frau mit ihren Entzündungen; ich bin in den Zweifeln des Managers, ob das Geld wirklich das Wichtigste ist. Ich bin im eintönigen Alltag der Angestellten, in der Aufregung vor der großen Prüfung; in der Angst vor dem Befund, im Glück der ersten Liebe … ich bin da, wo Menschen leben.“
Vielleicht wollte Jesus durch seine heftige Aktion im Tempel in Jerusalem vor allem darauf aufmerksam machen, dass jeder Mensch ein Tempel Gottes ist, ein Heiligtum, in dem Gott selber gegenwärtig ist. Und wer von uns verspürt nicht, dass dieser Tempel, der ich selber bin, ernsthaft der Reinigung bedarf!
Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf. Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern; das Geld der Wechsler schüttete er aus, ihre Tische stieß er um und zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! Seine Jünger erinnerten sich, dass geschrieben steht: Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren. Da ergriffen die Juden das Wort und sagten zu ihm: Welches Zeichen lässt du uns sehen, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte. Während er zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, da sie die Zeichen sahen, die er tat. Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen war.