"Nach dem Karfreitag, dem Karsamstag der Grabesruhe, kommt der Ostermorgen. Es geht nur in dieser Reihenfolge. Das Leid ist aus dem Leben nicht entfernbar. Aber es ist nicht die Endstation", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Nach dem Karfreitag, dem Karsamstag der Grabesruhe, kommt der Ostermorgen. Es geht nur in dieser Reihenfolge. Das Leid ist aus dem Leben nicht entfernbar. Aber es ist nicht die Endstation", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Ostersonntag, 4. April 2021 (Johannes 20,1.11-18).
Noch ist es Nacht. Frühmorgens, als es noch dunkel ist, geht eine Frau alleine durch die leeren Straßen. Sie geht hinaus vor die Mauern der Stadt. Es zieht sie hin zu einem Garten. Dort ist ein Grab, das in den Felsen gehauen war. Das Grab ist ihr Ziel. Vielmehr der, den man vorgestern in dieses Grab gelegt hat. Sie war selber dabei gewesen. Nicht weit von diesem Grab lag die Richtstätte. Dort pflegte man die zum Tod Verurteilten zu kreuzigen. Dort hatten sie ihn gekreuzigt, den sie sucht.
Zwei mutige Ratsherren hatten sich seinen Leichnam vom römischen Statthalter erbeten. Dem einen gehörte das Felsengrab im nahen Garten. Er hatte es für sich anlegen lassen. Bis heute versuchen gläubige Juden ein Grab zu bekommen, das möglichst nahe bei Jerusalem, beim Tempel liegt. Im Gartengrab also hatten sie Jesus am Freitagnachmittag eilig beigesetzt. Denn mit dem Sonnenuntergang begann der Sabbat, und dieser war ein großer Festtag, Pessach, das jüdische Osterfest. Für alle die vielen Pilger, die zum Fest gekommen waren, ein Freudentag. Für Maria von Magdala der große Trauertag. Sie und die anderen Frauen aus Galiläa waren mit Jesus und seinen Jüngern zum Fest nach Jerusalem hinaufgezogen. Hoffnung und Sorge bewegten sie.
Die Feindschaft gegen Jesus hatte bedrohliche Ausmaße angenommen. Sie konnte tödlich werden. Und Jesus schien nicht gewillt zu sein, sich selber in Sicherheit zu bringen. Doch da war auch eine große Hoffnung. Hatten nicht die Propheten gesagt, der Messias werde sich in Jerusalem zeigen, am Osterfest? Wird Jesus jetzt, an diesem Ostern, sein Reich errichten, seine Herrschaft antreten? Es kam ganz anders. Und jetzt blieb nur das Grab.
In jüngeren Jahren, als ich noch Theologieprofessor in der Schweiz war, verbrachte ich Ostern fast immer im geliebten Dominikanerkloster in Retz. Meist habe ich die Ostergottesdienste in einer der umliegenden Gemeinden gefeiert. Am Ostermorgen bin ich gerne ganz früh aufgestanden, um im Morgengrauen in die Weinberge zu gehen, hinauf zum Kalvarienberg, um dort den Sonnenaufgang zu erleben. Auf dem Retzer Kalvarienberg stehen rechts und links vom Kreuz Maria, die Mutter Jesu, und Johannes, dem Jesus die Sorge für seine Mutter anvertraut hat. Am Fuß des Kreuzes knieend ist Maria von Magdala dargestellt, in Tränen aufgelöst.
Und jetzt steht sie weinend vor dem Grab. Es ist leer. Der Leichnam ist weg. Zu allem Schmerz auch das noch! Als sie sich umdreht, sieht sie einen Mann dastehen: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen.“ Ein Wort ändert alles. Der Unbekannte, den sie für den Gärtner hält, spricht sie mit ihrem Namen an: „Maria!“ Sie erkennt ihn. Er ist es, der geliebte Meister: „Rabbuni!“
So wenige Worte braucht es, und alles ist in einem neuen Licht. Die Sonne ist aufgegangen. Es ist Ostern. Für mich wurde im Lauf der Jahre das Wort „Ostermorgen“ zum Schlüssel für viele Lebenssituationen. Nach dem Karfreitag, dem Karsamstag der Grabesruhe, kommt der Ostermorgen.
Es geht nur in dieser Reihenfolge. Das Leid ist aus dem Leben nicht entfernbar. Aber es ist nicht die Endstation. So beginnt es schon bei der Geburt. Den Schmerzen der Entbindung folgt die Freude über das neugeborene Kind. Jesus hat es klar gesagt. Wer ihm nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich. Wer sein Leben leidfrei halten will, wird es versäumen. Doch die Tränen und das Leid werden gewandelt in die Freude des Ostermorgens. Nicht immer dauert das Leid nur drei Tage, wie damals für Maria von Magdala. Die österliche Zusage gilt uns allen: „Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal“: der ewige Ostermorgen.
Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen. Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.