Von diesem bedingungslosen Ja spricht Jesus durch das Bild des guten Hirten. Es gibt kein stärkeres Zeichen, dass Jesus dieses Ja zu jedem Menschen absolut ernst meint, als seine Bereitschaft, dafür sein Leben zu geben.
Von diesem bedingungslosen Ja spricht Jesus durch das Bild des guten Hirten. Es gibt kein stärkeres Zeichen, dass Jesus dieses Ja zu jedem Menschen absolut ernst meint, als seine Bereitschaft, dafür sein Leben zu geben.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 25. April 2021 (Johannes 10,11-18).
Gott sieht alles! Das hat man uns als Kindern gesagt. Es war eine Drohung. Pass auf! Er sieht alles! Vor Ihm kannst du nichts verbergen. Er ist allwissend. Selbst deine geheimsten Gedanken sind Ihm nicht verborgen. In vielen älteren Kirchen gibt es die Darstellung, die man das „Auge Gottes“ nennt: ein Dreieck, in dessen Mitte nur ein Auge zu sehen ist, das alles sehende Auge Gottes. Sozusagen die allgegenwärtig Überwachungskamera Gottes.
Wie anders klingt es, wenn Jesus im heutigen Evangelium sagt: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich … und ich gebe mein Leben hin für die Schafe.“ Das sagt der, der es wagen kann, sich selber als „der gute Hirt“ zu bezeichnen. Wir sind hier in einer ganz anderen Atmosphäre als im alles kontrollierenden Überwachungsauge Gottes: „Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe.“ Zwischen Hirt und Herde besteht ein Vertrauensverhältnis. Er kennt jedes seiner Schafe. Er ruft sie einzeln beim Namen, sie hören auf ihn, weile seine Stimme ihnen vertraut ist. Sie wissen sich bei ihm beschützt und geborgen.
Zwei ganz verschiedene Gottesbilder. Welches hat mich geprägt? Wie stelle ich mir Gott vor? Ich fürchte, dass in vielen Menschenherzen das streng, alles überwachende Gottesauge noch sehr das Gottesbild bestimmt. Macht es mir Angst, zu glauben, dass Gott mich durch und durch kennt? Oder ist es mir ein Trost, zu wissen, dass ich wenigstens vor Gott nichts verbergen muss? Ich liebe den Psalm 139 in der Bibel. Immer habe ich ihn als etwas besonders Aufbauendes gelesen und gebetet. Dort heißt es: „Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du kennst es … Du bist vertraut mit all meinen Wegen. Ja, noch nicht ist das Wort auf meiner Zunge, siehe, Herr, da hast du es schon völlig erkannt. Von hinten und von vorn hast du mich umschlossen, hast auf mich deine Hand gelegt. Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen, zu hoch, ich kann es nicht begreifen …“
Der Beter staunt über diese Vertrautheit mit Gott. Schon vom Mutterschoß an hat Gott ihn gekannt und geformt: „Du selbst hast mein Innerstes geschaffen, hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass ich so staunenswert und wunderbar gestaltet bin … Als ich noch gestaltlos war, sahen mich bereits deine Augen.“ Es war nicht der kritische, alles durchleuchtende Blick des Kontrollors. Es waren die Augen Gottes, der zu mir ein liebendes Ja gesagt hat, noch ehe ich es selber wissen konnte.
Von diesem bedingungslosen Ja spricht Jesus durch das Bild des guten Hirten. Es gibt kein stärkeres Zeichen, dass Jesus dieses Ja zu jedem Menschen absolut ernst meint, als seine Bereitschaft, dafür sein Leben zu geben. „Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe.“ Damit stellt Jesus das Bild des Hirten auf den Kopf. Natürlich sorgt ein guter Hirte für das Wohlergehen seiner Herde. Sie ist ja seine Lebensgrundlage. Er lebt für seine Herde, weil er auch von ihr lebt. Jesus lebt nicht nur für uns, sondern er gibt sogar sein Leben für uns, damit wir leben. Die schönste Antwort auf das schreckliche Gottesbild des Überwachungsauges ist der beliebt Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen!“
Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.