„Heimgang“ ist nicht eine sanfte Umschreibung des Todes. Es ist die genaue Beschreibung dessen, was im Tod geschieht: Wir kehren heim! Genau so spricht Jesus selber von seinem bevorstehenden Tod.
„Heimgang“ ist nicht eine sanfte Umschreibung des Todes. Es ist die genaue Beschreibung dessen, was im Tod geschieht: Wir kehren heim! Genau so spricht Jesus selber von seinem bevorstehenden Tod.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 16. Mai 2021.
Wie soll ich mich in einem Beileidsschreiben ausdrücken? Soll ich schreiben: „Herzliche Anteilnahme zum Tod Ihres Mannes“? Ich scheue davor zurück, den Tod direkt anzusprechen. Es stimmt schon: Der Verstorbene ist tot. Daran ist nichts zu ändern. Müssen wir nicht der Wirklichkeit ins Auge sehen, auch wenn sie noch so schmerzlich ist? Trotzdem vermeide ich meist das Wort „Tod“. Ich spreche lieber vom Heimgang. Ich glaube nicht, dass ich damit der Härte des Wortes „Tod“ ausweiche. „Heimgang“ ist nicht eine sanfte Umschreibung des Todes. Es ist die genaue Beschreibung dessen, was im Tod geschieht: Wir kehren heim!
Genau so spricht Jesus selber von seinem bevorstehenden Tod. Er ahnte, nein, er wusste, dass sein Tod schrecklich sein wird. Wenige Stunden davor, bei seinem letzten gemeinsamen Mahl mit seinen Freunden, betet er zum Abschluss des Mahles zu Gott, den er Vater nennt. Er spricht von seinem Auftrag, den Gott ihm gegeben hat und der jetzt an sein Ende kommt. Noch ist er „in der Welt“, aber nicht mehr lange. Er weiß, dass er sterben wird. Und er benennt es, ohne das Wort „Tod“ zu gebrauchen: „Jetzt komme ich zu dir.“
Er sieht sein Sterben als einen Heimgang. Er scheut sich nicht, seine Freude darüber auszudrücken. Und er möchte, dass auch die Seinen „meine Freude in Fülle in sich haben“. Ich traue mich nicht, in einem Beileidsschreiben den Hinterbliebenen solche Worte zu schreiben. Aber ich weiß von Sterbenden, die diese Freude im Herzen hatten, heimgehen zu dürfen. Mein Großvater soll beim Sterben die Familie aufgefordert haben, sie mögen nicht trauern, sondern sich mit ihm freuen. Ich war damals noch zu klein, um mich daran zu erinnern.
Was ist also das Sterben? Eine Türe, die sich ins Nichts öffnet? Oder eine Heimkehr dorthin, wo unser wahres Zuhause ist? Wir tun uns schwer mit der Vorstellung, wie diese „ewige Heimat“ aussieht. Immerhin hat Jesus bei diesem letzten gemeinsamen Mahl ein Bild gebraucht, das ich besonders liebe und das auch oft bei Begräbnissen gelesen wird: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen … Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten … Ich werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“
Das klingt alles sehr tröstlich und ist es auch. Aber die Wirklichkeit ist nüchtern und oft reichlich hart. So lange wir unterwegs sind, „in der Welt“, wie Jesus sagt, so lange bekommen wir zu spüren, dass wir nicht im Paradies sind. Jesus hat nie ein Paradies auf Erden versprochen. An diesem letzten Abend hat er ihnen klar gesagt: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis.“ Ich brauche gar nicht versuchen aufzulisten, was es alles an Bedrängnissen gibt, von den Ängsten des Kindes angefangen bis zu den Mühen des Alters, von den Sorgen des Alltags bis zu den Konflikten aller Art. Jesus hat uns das alles nicht erspart. Es blieb auch ihm nicht erspart. Nur eines hat er von Gott für uns erbeten: „Vater, ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst.“
Eltern können ihre Kinder nicht in Watte packen. Sie bemühen sich, so lange und so gut sie können, sie zu beschützen und zu begleiten. Aber letztlich können sie nur wie Jesus beten, Gott möge ihre Kinder vor dem Bösen bewahren. Jesus erinnert an diese einfache Wahrheit: Wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt. Wir sind nur Gast auf Erden. Einmal werden wir heimgehen dürfen.
In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und sprach: Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir! Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllte. Aber jetzt komme ich zu dir und rede dies noch in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind.