Rituale sind nicht das Wesentliche des Glaubens. Sie sind Werkzeuge, Hilfsmittel, um das eigentliche Anliegen der Religion leben zu können: die Verbindung des Herzens mit Gott.
Rituale sind nicht das Wesentliche des Glaubens. Sie sind Werkzeuge, Hilfsmittel, um das eigentliche Anliegen der Religion leben zu können: die Verbindung des Herzens mit Gott.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 29. August 2021 (Markus 7, 1-8.14-15.21-23).
Noch nie in meinem Leben habe ich mir so oft und so gründlich die Hände gewaschen wie in den langen Monaten der Corona-Zeit. Ich habe es mir angewöhnt, aus Sorge vor Ansteckung. Es scheint mir vernünftig und sinnvoll. Ich hoffe, ich werde es mir nicht wieder abgewöhnen, wenn die Pandemie endlich einmal vorbei sein wird.
Die strengen Hygienemaßnahmen der Regierung hatten übrigens eine unerwartete positive Nebenwirkung. Im vergangenen Winter hat es kaum Grippe-Erkrankungen gegeben. Die übliche Grippewelle in den kalten Monaten blieb völlig aus. Möge es auch im kommenden Winter so bleiben!
Hatte Jesus etwas gegen das Händewaschen? Warum hat er seine Jünger nicht angehalten, die jüdischen Reinigungsvorschriften einzuhalten? Sie klingen doch sinnvoll und einleuchtend. Sie sind in vieler Hinsicht vorbildlich. Wenn man vom Markt kommt, sollte man sich doch die Hände waschen, ehe man zu essen beginnt. Das ist heute nicht anders. Doch Jesus kritisiert nicht die Sauberkeit, sondern ihre Überbewertung.
Die jüdische Tradition hatte viele einzelne rituelle Reinigungsbräuche hinzugefügt, die weit über das Gesetz des Mose hinausgingen. Sie wurden zu einem komplizierten System an Regeln und Vorschriften, deren genaue Beobachtung viel zu viel Aufmerksamkeit beanspruchte. Jesus sah die Gefahr, dass dadurch das Wesentliche verdeckt wird. Er sah darin „Satzungen von Menschen“ und nicht Gottes Gebot: „Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung von Menschen.“
Diese Gefahr ist nicht neu. Sie bedroht alle Religionen. Die Riten und Bräuche werden dann wichtiger als der lebendige Glauben. Rituale gehören zur Religion. Sie helfen dazu, unserem Glauben einen persönlichen und gemeinsamen Ausdruck zu geben. Wir müssen nicht in jeder Generation und in allen Situationen eine persönliche Religion neu erfinden. Aber Rituale sind nicht das Wesentliche des Glaubens. Sie sind Werkzeuge, Hilfsmittel, um das eigentliche Anliegen der Religion leben zu können: die Verbindung des Herzens mit Gott.
Jesus hat sich als Jude an die Reinigungsvorschriften seiner Religion gehalten. Aber er konnte energisch, ja zornig werden, wenn man aus ihnen die Hauptsache machte. Diese Versuchung gibt es nicht nur in der Religion, sondern in allen Lebensbereichen. Wie Vieles rücken wir ins Zentrum des Lebens, was wirklich nicht wesentlich ist. Ob jemand ein guter Mensch ist, hängt nicht daran, ob er sich vegan, vegetarisch oder auch mit Fleisch ernährt. Darüber entscheidet auch nicht, ob er das richtige Parteibuch hat, sich nach der gängigen Mode kleidet etc. Alles entscheidet sich an dem, was wir im Herzen tragen. Denn „von innen, aus dem Herzen des Menschen, kommen die bösen Gedanken“.
Jesus nennt nicht weniger als zwölf Gedanken, die unser Herz vergiften können, auch wenn wir noch so viele äußere Hygienemaßnahmen einhalten. Gedanken sind noch keine Taten, aber sie drängen dazu, es zu werden. Daher ist es eine zentrale Botschaft Jesu, über alle diese Gedanken zu wachen. Sie können in jedem Herzen auftauchen. Wem ist noch nie ein Gedanke des Neides gekommen? Und der Habgier? Und des Ehebruchs? Und ein „Ich könnte dich umbringen“? Wir brauchen davor nicht zu erschrecken. Unser Herz ist ein Abgrund. Aber Gott ist größer als unser Herz. Nur seine Hilfe kann uns vor dem Bösen bewahren.
Die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, versammelten sich bei Jesus. Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen. Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Handvoll Wasser die Hände gewaschen haben; so halten sie an der Überlieferung der Alten fest. Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen? Er antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte, wie geschrieben steht: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Vergeblich verehren sie mich; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen. Dann rief er die Leute wieder zu sich und sagte: Hört mir alle zu und begreift, was ich sage! Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.