Für Jesus war offensichtlich das Leiden, das ihn erwartete, etwas Sinnvolles. Er hat es bewusst angenommen, ja darin sogar seinen Auftrag gesehen.
Für Jesus war offensichtlich das Leiden, das ihn erwartete, etwas Sinnvolles. Er hat es bewusst angenommen, ja darin sogar seinen Auftrag gesehen.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 12. September 2021 (Mk 8,27-35).
Unter allen großen Fragen des Lebens gibt es kaum eine größere als die, warum es das Leid gibt. Das Leid begleitet das Leben von Anfang an bis zum oft bitteren Ende. Jeden Tag hören und sehen wir Nachrichten von Kriegen, Terror, Naturkatastrophen, von Hungersnöten und Flüchtlingsleid, von Krankheiten und von der Pandemie mit ihren weltweiten Auswirkungen. Dazu kommen die Leiden in unserer engsten Umgebung. Krisen und Konflikte in der Partnerschaft, Schicksalsschläge und wirtschaftliche Sorgen, seelisches Leid und körperliche Schmerzen. Hiob, der leidgeplagte Dulder, von dem die Bibel berichtet, klagt über seine Not: „Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde? Sind nicht seine Tage die eines Tagelöhners? … Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist! Nie mehr schauen meine Augen das Glück.“ Wir sind für das Glück geschaffen, sagt die Bibel, aber Unglück ist das Los so vieler Menschen. Gibt es eine Antwort auf die große Frage: Warum?
Petrus hat im heutigen Evangelium eine Antwort bereit. Er sagt entschieden Nein zum Leiden. Zumindest will er nicht, dass sein geliebter Meister leidet. Denn als Jesus beginn, seinen Jüngern zu sagen, dass viel Leid auf ihn zukommt, wird Petrus ganz energisch und weist Jesus zurecht, als wollte er sagen: Das kommt nicht in Frage! Das soll und darf dir nicht passieren! Die Reaktion Jesu ist derart scharf, dass sie schockiert: „Tritt hinter mich, du Satan!“ Petrus hat bei Jesus einen empfindlichen Nerv getroffen. Es geht um den Sinn seiner eigenen Sendung. Wenn Petrus ihn vom Weg des Leidens abhalten will, dann ist er nicht mit Gott unterwegs, sondern mit dem Teufel.
Für Jesus war offensichtlich das Leiden, das ihn erwartete, etwas Sinnvolles. Er hat es bewusst angenommen, ja darin sogar seinen Auftrag gesehen. Petrus ist davor zurückgeschreckt. So geht es wohl jedem von uns. Wir wünschen niemandem das Leiden, weder den anderen noch uns selbst. Aber Petrus hat etwas Entscheidendes überhört. Jesus hat nicht nur von seinem bevorstehenden Leid, ja seiner Tötung gesprochen, sondern auch von seiner Auferstehung. Für Jesus ist das Leid nicht die Endstation, das tragische Ende eines mühevollen Lebens. Es ist das Tor zum Leben, zu einem Glück, das kein Leid mehr kennt und keine Tränen. Ohne diese Hoffnung ist das Leid eine sinnlose Qual.
„Was weiß ein Mensch, der nicht gelitten hat?“ Diese Frage stellt der Mystiker Heinrich Seuse (14. Jahrhundert). Sie trifft auf uns alle zu. Leid ist ein Teil des Lebens. Es ist oft eine (schwere) Schule des Lebens. Meist müssen wir erst selbst Leid erleben, um das Leid der anderen mitfühlen zu können. Wer unfähig ist, Mitleid zu empfinden, dem fehlt ein wesentliches Stück Menschlichkeit. Unfassbar ist es, wie wir Menschen dazu fähig werden können, anderen bewusst und gezielt Leid zuzufügen.
Jesus sagt, dass jeder sein Kreuz auf sich nehmen und so ihm nachfolgen soll. Wir müssen alles uns Mögliche tun, um Leid zu lindern. Ganz verhindern können wir es nicht. Wir können es aber mittragen. Das tut Gott selbst. Denn Jesus steht auf der Seite der Leidenden.
In jener Zeit ging Jesus mit seinen Jüngern in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Auf dem Weg fragte er die Jünger: Für wen halten mich die Menschen? Sie sagten zu ihm: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten. Da fragte er sie: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete ihm: Du bist der Christus! Doch er gebot ihnen, niemandem etwas über ihn zu sagen. Dann begann er, sie darüber zu belehren: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete mit Freimut darüber. Da nahm ihn Petrus beiseite und begann, ihn zurechtzuweisen. Jesus aber wandte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus mit den Worten zurecht: Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Er rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich und sagte: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.