Was Jesus anspricht, ist von erschütternder Gültigkeit, auch für unsere Zeit: die Frage der Toleranz und ihrer Grenzen.
Was Jesus anspricht, ist von erschütternder Gültigkeit, auch für unsere Zeit: die Frage der Toleranz und ihrer Grenzen.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 26. September 2021 (Markus 9,38-43.45.47-48).
Mit dem heutigen Evangelium tue ich mich schwer. Vermutlich geht es anderen ebenso. Da ist so bedrohlich viel von der Hölle und vom nie erlöschenden Feuer die Rede. Ist das wirklich der O-Ton Jesu? Wo bleibt hier die Frohbotschaft? Doch beim längeren Nachdenken und Nachlesen über die Worte Jesu ist mir bewusst geworden, dass gerade dieses Evangelium mitten hineintrifft in mein eigenes Leben und in unsere heutige Situation. Denn was Jesus anspricht, ist von erschütternder Gültigkeit, auch für unsere Zeit: die Frage der Toleranz und ihrer Grenzen.
Es beginnt damit, dass einer der Jünger, Johannes, klare Grenzen ziehen will. Da gibt es die, die „zu uns“ gehören, und die anderen. Wir leben dauernd mit solchen Abgrenzungen, in der Kirche genauso wie im Alltag. Da sind wir und da die anderen! Wir sind auf der richtigen Seite, die anderen nicht. Und schnell wird aus dieser Trennlinie eine Haltung der Intoleranz: hier die Guten, dort die Bösen! Besonders abstoßend wirkt die religiöse Intoleranz. Aber seien wir ehrlich: Wie viel Ablehnung der anderen, nur weil sie anders sind, gibt es in unserem gewöhnlichen Alltag!
Jesus lädt seine Jünger zur Weitherzigkeit ein. Nicht alle müssen „zu uns“ gehören, „mit uns“ gehen. Es gibt auch außerhalb der Kirche viele Menschen, die sich von Jesus angesprochen fühlen, ohne sich deshalb gleich der Kirche anzuschließen. Es gibt so viel Gutes, Güte, Hilfsbereitschaft, tätige Nächstenliebe, unabhängig von religiöser, kultureller oder politischer Zugehörigkeit. Jesus drückt das aus mit dem Bild von Becher Wasser, den jemand dem Nächsten reicht. Wir Christen haben die Nächstenliebe nicht für uns gepachtet. Es gibt sie überall.
Doch dann wird Jesus sehr ernst: Es gibt auch Grenzen der Toleranz. Dann ist Entschiedenheit gefordert. Unerträglich ist es, „Kleinen“, Wehrlosen, Ungefestigten Ärgernis zu geben, sie auszunützen, irrezuleiten, auf verschiedenste Weise zu missbrauchen. Das Bild vom Mühlstein um den Hals ist drastisch, aber es sagt klar, dass hier Null-Toleranz gilt. Ich denke an die vielen jungen Menschen, die zum Drogenkonsum verführt werden und deren Leben dadurch zur Hölle wird. Oder die jungen Frauen aus armen Ländern, die mit schönen Versprechungen angelockt werden und dann in der Falle der Prostitution landen. Schwer wiegt es, wenn Menschen in ihrem Glauben verunsichert werden, ihr Glaube lächerlich gemacht wird. Besonders schlimm ist das Ärgernis, das wir als Hirten immer wieder den Gläubigen geben. Jesu scharfe Worte erinnern uns daran.
Unseren eigenen Fehlern gegenüber neigen wir zur Toleranz, während wir die der anderen gerne kritisieren. Die drei harten Bildworte Jesu vom Ausreißen der Hand, des Fußes, des Auges sagen überdeutlich, dass es manchmal nur durch einen radikalen Schnitt möglich ist, von einem Übel loszukommen. Das gilt von jeder Art von Sucht, die das Leben zur Hölle machen kann. Heute warnen uns die Zeichen des Klimawandels davor, dass ohne tiefgreifende Änderungen unseres Lebens es nicht möglich sein wird, den Katastrophen zu entgehen. Das heutige Evangelium hilft mir auszuloten, wo Toleranz geboten ist und wo sie Grenzen hat.
Da sagte Johannes zu ihm: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt. Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört - Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen. Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde. Wenn dir deine Hand Ärgernis gibt, dann hau sie ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle zu kommen, in das nie erlöschende Feuer. Und wenn dir dein Fuß Ärgernis gibt, dann hau ihn ab; es ist besser für dich, lahm in das Leben zu gelangen, als mit zwei Füßen in die Hölle geworfen zu werden. Und wenn dir dein Auge Ärgernis gibt, dann reiß es aus; es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes zu kommen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.