Muslime und Christen schöpfen gemeinsam Hoffnung bei Maria (KlosterUnserer Lieben Frau von Saidnaya)
Muslime und Christen schöpfen gemeinsam Hoffnung bei Maria (KlosterUnserer Lieben Frau von Saidnaya)
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 17. Oktober 2021.
Von meinem Besuch in Syrien vor zwei Wochen bleiben mir viele schöne, aber auch schmerzliche Erinnerungen. Schmerzlich ist vor allem die Aussichtslosigkeit, die bei vielen Menschen zu spüren ist. Der schreckliche Krieg, der zehn Jahre gedauert hat und der tiefe Wunden hinterließ, ist (hoffentlich) vorbei. Aber der Frieden ist damit noch nicht gewonnen.
Zum Frieden gehört vor allem die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, und die scheint zu fehlen. Mehrmals konnte ich jungen Menschen begegnen. Immer war nur eines zu hören: Ich will weg von hier! Ich sehe hier keine Zukunft für mich! Auswandern in ein Land, in dem es Berufs- und Lebenschancen gibt! Wer wird jungen Menschen einen solchen Traum verargen?
Kann man es den Brüdern Jakobus und Johannes übelnehmen, dass sie sich Zukunftshoffnungen machten, als sie anfingen, mit Jesus zu gehen? Auch damals war die Lage in Galiläa düster und aussichtslos, wie heute im benachbarten Syrien. Jesus war für sie der große Hoffnungsträger. Immer deutlicher sahen sie in ihm den verheißenen Messias. Jesus sprach ständig von dem kommenden Reich Gottes, und seine Jünger stellten sich vor, dass ihr Meister der König dieses Reiches sein werde. So kommen die beiden Brüder mit ihrer Bitte zu Jesus: Wenn du dann König bist, lass uns die Sitze rechts und links von dir haben. Mich berührt es, dass Jesus ihnen wegen ihres „Karrierewunsches“ keinen Vorwurf macht.
Etwas im Leben werden zu wollen ist keine Schande. Das wünschen sich Eltern für ihre Kinder, und junge Menschen träumen davon. Jesus sagt den beiden nur ganz nüchtern: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.“ Das gilt für alle jugendlichen Erfolgsträume. Es ist leicht, von einer Karriere zu träumen. Die Realität sieht anders aus. Ob du Spitzensportler, ein guter Handwerker, ein erfolgreicher Arzt oder Musiker werden willst, immer ist der Weg dahin mit viel Disziplin, mit Opfern verbunden. Von Opfern spricht auch Jesus mit den Worten vom Kelchtrinken und Getauftwerden, beides Bilder für das ihm bevorstehende Leiden.
Die „Ehrenplätze“ neben Jesus bedeuten vor allem die Bereitschaft, an seinem Geschick teilzunehmen, also auch an seinem Leiden. Die anderen zehn Jünger sind verärgert über das Vordrängen und Wichtigtun der beiden Zebedäussöhne. Neid, Rivalitäten, Eifersucht: Alles das findet man von Anfang an unter denen, die einmal die Säulen der Kirche sein sollen. Jesus hat ganz normale Menschen um sich gesammelt.
Was Wunder, dass es bis heute nicht anderes ist. Aber es sollte trotzdem anders sein, nicht so wie bei den Großen dieser Welt und ihren Machtspielen. Und Jesus erinnert uns daran, wer die wirklich Großen sind: die, die sich zu Dienern der anderen machen! Sie sind die eigentlichen Hoffnungsträger, überall, besonders in der Not. In Syrien habe ich nicht nur Hoffnungslosigkeit erlebt. Es gibt so viele Zeichen echter Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft. Ich wünsche den jungen und älteren Menschen in diesem schönen und leidgeprüften Land den ersehnten Frieden und eine gute, bessere Zukunft für ihre Heimat.
In jener Zeit traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu Jesus und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen! Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde.Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist. Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.
Mk 10, 35–45