Allerheiligen: Ich verehre nicht abgehobene Idole, Halbgötter, die mit uns Menschen kaum mehr etwas gemeinsam haben. Mich faszinieren Lebensgeschichten von Menschen, die Gottes Nähe spürbar machen, dabei aber ganz und gar menschlich sind.
Allerheiligen: Ich verehre nicht abgehobene Idole, Halbgötter, die mit uns Menschen kaum mehr etwas gemeinsam haben. Mich faszinieren Lebensgeschichten von Menschen, die Gottes Nähe spürbar machen, dabei aber ganz und gar menschlich sind.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 1. November 2021.
Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass ich in den Heiligenkalender schaue. Ich staune immer wieder, wie viele Heilige da jeden Tag verzeichnet sind, Männer und Frauen, Junge und Alte aus allen Jahrhunderten. Die meisten sind (zumindest mir) kaum bekannt. Dazwischen kommen immer wieder sehr geläufige und beliebte Namen vor, wie Franziskus (von Assisi) oder die „große“ Teresa (von Avila), die „kleine“ Therese (von Lisieux), Antonius (der Verlorenes zu finden hilft) oder Padre Pio (heute Italiens populärster Heiliger) und viele andere. Und dann gibt es die persönlichen Lieblingsheiligen, die einem besonders nahestehen oder sympathisch sind.
Am 1. November werden sie alle gemeinsam gefeiert, alle die zahllosen Heiligen. Doch vergessen wir nicht: Die Heiligenverehrung ist höchst umstritten. Viele christliche Kirchen und Gemeinschaften lehnen den Kult um die Heiligen entschieden ab. Sie sehen darin eher eine Fehlform des christlichen Glaubens, eine Anleihe am heidnischen Götterkult. Bei der Christianisierung der heidnischen Völker habe man die vielen Götter einfach durch christliche Heilige ersetzt, um dem Volk den Übergang vom Heidentum zum Christentum zu erleichtern. Die christlichen Heiligen hätten, so die Kritik, die Rolle und Zuständigkeiten der alten Götter übernommen. So wird es wohl in manchen Fällen wirklich gewesen sein.
Trotzdem ist die Frage berechtigt: Was suchen Menschen, wenn sie sich einem Heiligen anvertrauen? Was bewegt die vielen Menschen, die täglich im Stephansdom Kerzen beim Maria-Pocs-Altar anzünden? Warum ist mir der selige Franz Jägerstätter seit meinen jungen Jahren ein so wichtiges Vorbild? Warum lese ich gerne gute Biographien von Heiligen? Ich verehre nicht abgehobene Idole, Halbgötter, die mit uns Menschen kaum mehr etwas gemeinsam haben. Mich faszinieren Lebensgeschichten von Menschen, die Gottes Nähe spürbar machen, dabei aber ganz und gar menschlich sind.
Wie ein solches Leben aussieht, kann man am besten im heutigen Evangelium finden. Es sind die berühmten „Seligpreisungen“ Jesu, die Charta eines Lebens im Geist Jesu. Denn zuerst hat Jesus selber alle diese Haltungen gelebt, und seit den Tagen Jesu hat es nie an Menschen gefehlt, die auf Jesus geschaut haben und ihm nachgefolgt sind. Ihr Leben wurde mehr und mehr von Jesu Gesinnung geprägt. So, und nur so wurden sie zu Heiligen, sodass ihr eigenes Leben Jesus sichtbar machte. Heiligkeit im christlichen Sinn ist nicht eine Art Spitzensport in Tugendleistungen, sondern schlicht und einfach ein Leben, das immer mehr am Leben Jesu sein Maß findet.
Eindrucksvolle Christen gibt es in allen Kirchen, auch wenn sie nicht als Heilige verehrt werden. Und Menschen, die aus dem Geist Jesu leben, gibt es in allen Religionen und Kulturen. Es sind Menschen, die das leben, was Jesus seligpreist: Menschen, die arm sind vor Gott, weil sie um ihre eigene Armut wissen; die mit den Trauernden zu trauern vermögen; die sanftmütig sind statt anderen Unrecht zu tun; die mit ganzem Einsatz für Gerechtigkeit eintreten; die barmherzig sind, weil sie selber Barmherzigkeit erfahren haben; die ein reines, gerades Herz haben; die Frieden stiften und dafür auch Verfolgung zu tragen bereit sind … Solche Menschen sind keine Götter. Sie sind echte Menschen. Ich darf sie wertschätzen und (warum nicht?) auch verehren.
Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm. Und er öffnete seinen Mund, er lehrte sie und sprach: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden. Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen. Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.